Ihren normativen Kern untermauert die Schrift Gottes eindeutig mit apriorischer1 Ethik, obgleich sie die Erkenntnis des Zusammenhangs der gesunden menschlichen Intuition überlässt und sich minutiös-abstrakter Herleitungen überwiegend enthält. Dennoch bleibt es nicht aus, dass Fragen zum Einklang zwischen göttlichen Geboten und a priori gültiger ethischer Werte aufgeworfen werden.
Der Sammlung und Beantwortung solcher Fragen wollen wir uns hier widmen.
Begonnen sei mit der wohl bekanntesten unter jenen Fragen:
Hat Gott Seine Gebote angeordnet, weil sie gut sind, oder sind sie gut, weil Er sie befohlen hat?
Mit der Stellung dieser Frage ist manchmal die Einleitung eines Plädoyers für eine der beiden Optionen und somit einer bevorzugten metaethischen Richtung wie z.B. den sogenannten moralischen Realismus, häufig aber wohl die Konstruktion eines Dilemmas beabsichtigt: Das eine würde scheinbar implizieren, dass es Werte gebe, die neben Gott und unabhängig von Ihm und Seinem Willen objektiv gültige Werte sind, und womöglich sogar eine Beschränkung der göttlichen Handlungsmöglichkeiten bzw. einer Vorprogrammierung der Handlungen Gottes . Das andere hingegen würde scheinbar implizieren, dass Er Seine Gebote in einer jeder Weisheit entbehrenden Beliebigkeit, Willkür und Zufälligkeit ausgesucht habe. - Beides stünde in Konflikt mit der Göttlichkeit und grenzenlosen Würdigkeit einer allweisen und zugleich uneingeschränkt souveränen Gottheit.
Doch das Dilemma entspringt einer reinen Suggestion und existiert in Wirklichkeit gar nicht. Die Frage suggeriert nämlich und setzt ohne Beweis irrigerweise voraus, dass solange es nichts gebe, das unabhängig von Gott gut sein könne, etwas allenfalls gut sein könne, wenn Gott es befiehlt. Dies lässt sich leicht widerlegen: Gott selbst ist gut (Sein Wesen ist ja keine Handlung, die befohlen werden kann), und weil das so ist und Gott die Eigenschaft der Göttlichkeit besitzt, ist es außerdem gut, Ihn anzubeten. Damit wären dies schon zweierlei, die auch ohne befohlen zu werden und somit a priori zweifellos gut sind. Zugleich ist weder Gott noch Seine Anbetung etwas unabhängig von Ihm Gutes, sondern Er ist allein Seiner selbst wegen gut, und angesichts ihrer Bezogenheit auf Ihn ist Ihm gewidmete Anbetung allein Seinetwegen gut. Hier gibt es also, ohne dass etwas befohlen zu werden braucht, genügend Gutheit, die allein Gott zum Ursprung hat. Nebenbei zeigt sich hier, wie sehr das vorgebliche Dilemma ein in seiner Wichtigkeit nicht zu unterschätzendes Konzept ignoriert, nämlich das des Gutseins von etwas wegen etwas Anderem Guten. Dass Gott nun auch geboten hat, Ihn anzubeten, erhöht die Gutheit dieser Handlungskategorie, und dies wiederum Seinetwegen, d.h. weil Er es ist, der es geboten hat. Somit stimmt hier für den an die Weisheit Gottes glaubenden Menschen beides, ohne dass irgendein logisches Problem feststellbar wäre: Gott hat dieses Gebot angeordnet, weil es gut ist, und es ist gut, weil Er es angeordnet hat.
Freilich war das nur eine grobe und verkürzte Darlegung. Eine einigermaßen verfeinerte und abstraktiv-dialektischen Ansprüchen eher genügende Auseinandersetzung sei im Folgenden dargeboten. Hierfür ersetzen wir aus „handwerklichen“ Gründen das begrifflich diffuse Lexem der Gutheit mit demjenigen der Würdigkeit, zumal die ganze Zeit über nicht das sinnlich oder technisch Gute gemeint ist, sondern das ethisch Gute, das erst durch die Komponente der Würdigkeit zu einem solchen wird.2 Die vorliegende „Frage“ fordert die Wahrheit heraus, dass es nichts gibt, das unabhängig von Gott Würdigkeit besitzt, bzw. sie zweifelt die Möglichkeit von wahrhafter (vollkommener) Göttlichkeit an, welche im hinreichend konsequenten Verständnis ja genau das impliziert. Ihrem relevanten Aspekt trägt also ihre folgende Formulierung Rechnung:
Hat Gott Seine Gebote angeordnet, weil sie Würdigkeit haben, oder haben sie Würdigkeit, weil Er sie befohlen hat?
Zunächst stellen wir den Irrtum fest, welcher dem von dieser Frage suggerierten, sogenannten Euthyphron-Dilemma zugrunde liegt, nämlich dass es entweder a) von Gott unabhängig Würdiges - hier Werte a priori - gebe, oder b) allenfalls etwas von Gott Befohlenes würdig sein könne (d.h. wenn etwas Würdiges nicht unabhängig von Gott würdig sei, müsse es etwas von Ihm Befohlenes sein). Beides stelle die Göttlichkeit bzw. Einzigkeit Gottes in Frage, „a“ durch Relativierung Seiner Würdigkeit und Einschränkung Seiner Handlungsmöglichkeiten, „b“ durch das Fehlen jeglicher wahrhaften Weisheit in den göttlichen Anordnungen.
Es ist offensichtlich, dass das Dilemma zumindest ins Wanken gerät, sobald etwas Würdiges benannt wird, das nicht unabhängig von Gott würdig ist und hierfür nichts bereits Befohlenes sein muss. Und solches lässt sich zweifellos benennen, nämlich: Gott selbst. In der Sicht des Theisten (dessen Standpunkt die Frage notwendigerweise einnimmt), so sein Theismus hinreichend konsequent ist, besitzt Gott als Ursprung aller Würdigkeit unbestreitbar Würdigkeit und ist dennoch nichts Befohlenes, zumal Sein Wesen keine Handlung ist.
Und es ist offensichtlich, dass das Dilemma als vollends zerstört zu gelten hat, sobald ein weiteres Würdiges genannt wird, das diese Eigenschaft besitzt und zugleich zwar eine Handlung ist und befohlen werden kann, jedoch nicht erst bereits befohlen sein muss, um Würdigkeit zu besitzen. Auch solches lässt sich zweifellos benennen, nämlich: Handlungen um Gottes willen. (Unter den Handlungen sind sie sogar das einzige Gute und Würdige.) Solche besitzen auch ohne Befohlenheit unbestreitbar Würdigkeit, da sie nicht irgendwelche Handlungen sind, sondern Handlungen um eines Würdigen willen (d.h. seinetwegen bzw. aus Anerkennung seiner Würdigkeit). Solchen kommt notwendigerweise Würdigkeit zu, da dies in Abrede zu stellen sie mit Haltungen der Gleichgültigkeit gegenüber dem jeweiligen Würdigen gleichsetzen würde, was ethisch offensichtlich unzulässig ist.
Hier stellen wir den zweiten Fehler fest, der dem Fragesteller unterlief, nämlich die Vernachlässigung des Prinzips vom Wertgewinn aufgrund eines positiven Bezugs auf vorab Würdiges. Die primäre Implikation eines konsequenten Theismus ist hier nämlich nicht, dass die Würdigkeit von etwas stets auf einer Befohlenheit vonseiten Gottes beruhen muss (auch wenn dies
durchaus der Fall sein kann), damit Gott allein als die an und für sich
wahre Wahrheit gelten, d.h. außer Gott kein Wert einen anderen
aus sich selbst begründen kann. Die hinreichende Hauptsache ist
vielmehr, dass ohne Gott und die Würdigkeit Gottes von der Würdigkeit
irgendeines sonstigen Wertträgers nichts übrig bliebe, d.h. dass die
Würdigkeit eines Konzeptes, eines Prinzips oder eines Dinges -
gleichgültig ob wegen eines Befehls oder aus einem anderen Grund -
allein von Gott abhängig ist.3
Wahrhafte Göttlichkeit ist ausschließlich die absolute und vollkommene Göttlichkeit, da jedes hiervon abweichende Konzept von Göttlichkeit widerspruchsbehaftet ist. Weil diese impliziert, dass 1.) außer Handlung um Gottes willen (bzw. Ihm zuliebe) keine Handlung Würdigkeit besitzt und 2.) Gott die Eigenschaft der grenzenlosen Weisheit zukommt und Er somit nichts Würdigkeit Entbehrendes, geschweige denn Unwürdiges befiehlt, impliziert optimaler, korrekter und konsequenter Theismus, dass a) Gott keine Handlung befiehlt, die nicht letztlich ausschließlich um Seinetwillen ist, b) was Er befohlen hat, allein deswegen befohlen hat, weil das Befohlene (in welcher Weise auch immer) um Seinetwillen ist.
Dass Gott nun tatsächlich geboten hat, aktionale Haltungen um Seinetwillen anzunehmen, erhöht die Würdigkeit dieser Handlungskategorie, und dies wiederum Seinetwegen, d.h. weil Er es ist, der es geboten hat. Somit stimmt hier für den an die Weisheit Gottes glaubenden Menschen beides: Alles, was Gott geboten hat, hat Er geboten, weil es würdig ist, und es ist würdig, weil Er es geboten hat.
Da nun jemand meinen könnte, dass in diesem Fall die Optionen für das, was Gott überhaupt gebieten könnte, geringer Anzahl seien, bleibt lediglich die Frage bezüglich der göttlichen Souveränität und Freiheit. Hierfür kehren wir zu einer unrelativierbaren Ausgangsposition zurück: Es gibt (im Denkbaren) nichts Würdiges außer Gott (dessen Würdigkeit absolut ist) und was um Seinetwillen als würdig einzustufen ist, mithin auch, was einfach um Seinetwillen ist oder geschieht (relative Würdigkeit). Und hierum weiß Gott selbst am besten. Wir wissen mittlerweile, dass nichts gegen die Idee einzuwenden ist, dass Er verfügt, dass um Seinetwillen Handlungen welcher konkreteren Art auch immer getan werden, und nichts gegen diejenige, dass Er dies aufgrund Seines Wissens um ihre Würdigkeit verfügt. Dieses Seinige Wissen ist natürlich als im Voraus bestehend zu denken, d.h. bevor (d.h. unabhängig davon, dass) Er irgendetwas verfügt. Da wir dies ebenfalls wissen, können wir damit rechnen, dass Er tatsächlich verfügt hat, um Seinetwillen geschehende Werke zu vollbringen, und nichts anderes. Das beschränkt jedoch keineswegs die Anzahl und Vielfalt der Befehlbarkeiten, denn es mag - ein wenig hylemorphistisch ausgedrückt - im Denken die Essenz des Befohlenen (Handlung zu sein) und seine Substanz (um Gottes willen zu sein) festlegen, sagt jedoch wenig oder gar überhaupt nichts darüber aus, welche unter allen möglichen speziellen Formen (d.h. anhand ihrer Form bestimmbarer spezieller Arten) des Handelns um Seinetwillen Er auswählt, um sie zum Gegenstand Seines Befehls zu machen. Für diese Formen kommt immerhin unendlich vieles in Frage: Gebet, Fasten, Spenden an Bedürftige, ja vielleicht sogar gemeinhin als völlig kontextfremd Erscheinendes, sei es eine Weile auf einem Bein stehend auszuharren, regelmäßig bestimmte Mengen Holz zu hacken, Obelisken aufzustellen oder anderes, solange es um Seinetwillen zu vollbringen ist. Ein verhältnismäßig sehr kleiner Teil aller möglichen Handlungskategorien mag kraft kontingenter Faktoren4 durchaus ranghierarchisch strukturiert, priorisiert und als Ausrichtung auf Gott notwendiger oder angemessener sein als andere, gleichwohl ist Gott der alleinige Schöpfer dieser Faktoren, zudem umfasst häufig eine schon a priori auf höherer Stufe befindliche Form viele untereinander gleichwertige mögliche Subformen (z.B. kann Naturschutz sowohl in Form der finanziellen Unterstützung von Umweltprojekten als auch in Form politischer Aktivität ausgeübt werden), die sich axiologisch erst durch selektive göttliche Akte - z.B. eben spezielle Anordnungen Gottes - voneinander abheben können. Obendrein verbleiben theoretisch unendlich viele sonstige Formen des (weitestgehend untypischen) Handelns um Seinetwillen, die untereinander gleichwertig sind. Als nennenswert würdig kann eine solche Form erst recht nur gelten, wenn Gott sie z.B. durch einen Befehl auserwählt,5 und dann besäße sie diese Würdigkeit, nur weil Gott sie auf diese Weise auserkoren hätte. Solange Gott sie nicht auserwählt, könnte sie nicht einmal dann als nennenswert würdig gelten, wenn sie vermeintlich um Seinetwillen vollbracht würde, da sie Ressourcen in Anspruch nähme, welche Handlungen höheren Ranges (die ihnen durch ihre speziellen Formen aufgrund von Befohlenheit oder apriorischer Vorzüglichkeit zukäme) dann nicht zur Verfügung stünden. (Im Verhältnis zu Handlungen mit anderer oder ohne jegliche Substanz mag ihr auch ohne göttliche Selektion Würdigkeit zukommen; dadurch aber, dass diese Würdigkeit in der Realität praktisch nie zum Tragen kommen kann, fließt ihr im Verhältnis zu den höherrangigen Handlungen überwiegend zu konstatierende Würdigkeitsdefizit neutralisierend, wenn nicht gar umkehrend, in die Betrachtung ein.) - Unter dem Aspekt des Allgemeinen hat Gott daher ohne eine Aufhebung der Unendlichkeit Seiner Möglichkeiten jedes Seiner Gesetze verfügt, weil es würdig ist, und unter dem Aspekt des Speziellen ist jedes Seiner Gesetze würdig, (nur) weil Er es verfügt hat. Zugleich hat Er alles, was würdig (also ein ethischer Wert (S)) ist, befohlen, und alles, was Er befohlen hat, ist würdig (also ein ethischer Wert (S)).
Zu guter Letzt kommt hinzu: Weisheit ist keine ontologische Beschränkung der Macht Gottes , sondern die Pflicht zum Glauben an jene ist eine ethische Beschränkung der Annahmen des Menschen in Bezug auf Sein Tun.
Ja, Gott hat alles von Ihm Gebotene deshalb geboten, weil es Würdigkeit besitzt, und als der Allweise, der Er ist, gebietet Er nur solches. Diese Implikation der grenzenlosen Weisheit Gottes befindet sich in vollkommener Harmonie mit konsequentem vereinzigenden Theismus. Denn keine Gebotenheit besitzt absolute, sondern ausschließlich relative Würdigkeit (z.B. weil es anderem Würdigen zuarbeitet), die sich letztlich lediglich von Seiner Würdigkeit ableitet. Absolute Würdigkeit besitzt Er allein. Und dass Seine Weisheit impliziert, dass nur Würdiges von Ihm befohlen wird, beschränkt weder die Anzahl noch die Vielfalt Seiner Handlungsmöglichkeiten. Denn 1.) Die relative Würdigkeit von Trägern einer solchen (auch wenn sie nichts als direkt anerschaffen zu sein Denkbares ist) ist von Faktoren abhängig, die Gott selbst erschaffen hat. 2.) Essenz und Substanz des nach dem Maßstab der Weisheit Gebietbaren (Handlungen um Gottes willen bzw. Ihm zuliebe) stehen zwar a priori fest; doch die Menge und Vielfalt der möglichen Formen und somit der Gebietbarkeiten ist nach wie vor unendlich groß. Sie bleibt selbst dann unendlich groß, wenn man die Menge derjenigen potentiellen Handlungen abzieht, deren positive Werte kraft der erwähnten Faktoren a priori festgelegt sind. Denn ihre Menge, wie groß sie auch immer sein mag, ist im Verhältnis zu derjenigen aller denkbaren sonstigen Formen der Handlungen um Gottes willen gleichwohl verschwindend klein. 3.) Weisheit ist keine ontologische Beschränkung der Macht dessen, der sich durch jene auszeichnet, sondern eine Beschränkung findet im theistischen Kontext lediglich in der Art und Menge der legitimen Annahmen des Menschen statt.
Und ja, was von Gott geboten wurde, besitzt, weil es von Ihm geboten wurde, nochmals Würdigkeit. Denn es ist ethisch unzulässig, von einem Inhaber absoluter und unendlicher Würdigkeit Auserwähltes mit von Ihm nicht Auserwähltem grundsätzlich axiologisch gleichzusetzen. Also gewinnt solches, ob es nun durch ein Gebot gegenüber nicht Gebotenem oder durch Sonstiges auserwählt ist, kraft der Selektion in jedem Fall Würdigkeit. Zudem sind die Subformen einer a priori würdigkeitsvollen Handlungskategorie häufig untereinander indifferent, so dass sich eine solche Subform durch ihre göttliche instruktive Gewolltheit von den anderen Subformen axiologisch abhebt. (Sind alle Subformen einer Handlung, die sich ihre Oberkategorie mit keiner anderen Handlung teilt, gleichermaßen geboten, wird es Oberkategorien anderer Handlungen geben, gegenüber denen sie an Wert zunimmt.)
Grundlage der Auflösung des Dilemmas: Hinsichtlich der Substanz einer jeden Gebotenheit wurde sie von Gott geboten, weil sie Würdigkeit besitzt, während sie hinsichtlich ihrer Form Würdigkeit besitzt, weil sie von Gott geboten wurde. Ersteres etabliert, anders als vom Dilemma suggeriert, nichts von Gott unabhängig Würdiges, da die Substanz des Gebotenen darin besteht, um Gottes willen und Ihm zuliebe zu sein. Zweiteres stellt die Weisheit Gottes in Seinen Bestimmungen nicht in Abrede, da diese Weisheit im Lichte des Faktums, dass es nichts Würdiges außer Gott und was um Seinetwillen ist, geben kann, spätestens in der Substanz des Gebotenen sichtbar wird.
Nachdem das Vorangegangene sich besonders eignet, im Namen der Vernunftethik geführten Angriffen auf den Eingottglauben zu begegnen, ist auch damit zu rechnen, dass im Namen der Einzigkeitslehre die Legitimität jeglicher offenbarungsunabhängigen Ethiklehre in Frage gestellt und ein solches Unterfangen verfälschend oder zumindest unüberlegt gar als Beigesellung (shirk) abgestempelt wird. Der von dieser Seite zu behandelnde mögliche Einwand könnte lauten: „Gott allein ist der wahre Herrscher über alle Dinge, also hat auch nur Er das Recht, Gesetze zu geben; wenn apriorische Ethik aber offenbarungsunabhängig ist, haben ihre Normen anscheinend eine andere Quelle als Gott (z.B. die Selbstheit ihres Proponenten, die begrenzte Vernunft des Menschen oder gar bloß seine Neigungen) und begeben sich in Konkurrenz zum Gesetz Gottes, weshalb die Anerkennung jeglicher apriorischer Ethik Beigesellung ist.“
Die Beantwortung des Einwandes ist einfach. Wollte Ethik oder der Ethiktheoretiker etwas gesetzgebend bestimmen6 und gründete dies geäußert oder ungeäußert auf eine andere vermeintliche, als absolut gedachte Autorität7 als diejenige Gottes, läge in der Tat Beigesellung vor. Korrekte apriorische Ethik verfolgt jedoch gar nicht den Zweck, irgendwem ein Gesetz aufzuerlegen oder etwas vorzuschreiben. Über das, was vorgeschrieben ist, auch nur Auskunft zu geben, liegt ihr fern. Sie beruft sich als Letztbegründung nicht einmal auf irgendeine Autorität, geschweige denn auf eine andere als diejenige Gottes (wie auch Mathematik sich zur Begründung der Gültigkeit ihrer Aussagen nicht auf Autorität beruft). Das Gleiche gilt für den rechtgeleiteten Ethiktheoretiker (m/w). Als wissenschaftliche oder philosophische Disziplin will ideale Ethik hinsichtlich der moralischen Praxis nichts bestimmen, sondern lediglich so weit wie möglich angeben, welche Haltung ein reifer und gesunder Mensch, der die optimale Grundausrichtung hat, d.h. der aus seinem Tiefsten heraus die vollkommene kategorische Bereitschaft hegt, jedem Inhaber eines Rechts sein volles Recht zukommen zu lassen, bzw. jedem objektiv Würdigen Würdigkeit vollkommen gemäß seiner Würdigkeit beizumessen, also der das wahrhaft Gute aufrichtig will, im Idealfall einnehmen würde (grob ausgedrückt).8
Apriorische Ethik (im Idealsinn) kann nicht in Konkurrenz zum offenbarten Gesetz stehen, allein schon weil ihre zentralen Urteilsbegriffe völlig andere sind als die bestimmenden Kategorien des Gesetzes. Die Urteilsbegriffe der Ethik sind unabhängig vom Konzept der Autorität: würdig, unwürdig und indifferent, bzw., handlungsspezifischer: obligat, verwerflich und legitim. Die bestimmenden, analog erscheinenden Kategorien des religiösen Gesetzes hingegen beruhen auf Autorität und sind: auferlegt (geboten), sakrosankt (verboten) und statthaft (erlaubt). Korrekte apriorische Ethik in Person ihres Proponenten maßt sich ohne Weiteres nicht im geringsten an, etwas mit den letzteren Kategorien auszuzeichnen oder ohne Weiteres auch nur Auskunft darüber zu geben, ob sich irgendetwas, und wenn ja, was sich mit ihnen auszeichnet.
Derlei Missverständnisse sind insofern nicht überraschend, als zum einen die Gefahr einer irrtümlichen Verwechselung und Gleichsetzung der Urteilskategorien dadurch erhöht ist, dass durchaus alles von Gott Gebotene oder Untersagte notwendigerweise ethisch obligat bzw. verwerflich ist.9 Nur eben folgt umgekehrt allein daraus, dass eine Sache ethisch obligat oder verwerflich ist, noch nicht, dass Gott speziell zu ihr auch eine analoge Vorschrift oder Untersagung offenbart hat. Andererseits schließt das wiederum nicht aus, dass Gott zu jeder denkbaren apriorischen Pflicht und jeder ebensolchen Verwerflichkeit eine analoge Direktive offenbart hat; es kann sich nachträglich sogar als ethische Pflicht erweisen, genau hieran zu glauben. Dass damit in der Auffassung vieler Menschen die Illusion einhergeht, dass die genannten Urteilsbegriffe miteinander vollkommen identisch sind, sollte also nicht verwundern. - Obendrein waren und sind insbesondere abendländisch-neuzeitliche Moralphilosophien leider tatsächlich dadurch motiviert, religiöse Gesetzgebungen samt dem Glauben an die absolute Autorität des Schöpfers zu ersetzen, und bestrebt, den Anschein zu erwecken, dass die juristischen oder religiösen Kategorien unverändert übernommen werden könnten. Zementiert wurde die daraus entstandene Unsitte von der Terminologie eines einflussreichen, vom Konzept des Gesetzes geradezu besessen erscheinenden Moralphilosophen wie Immanuel Kant, dessen Ausführungen unablässig um die Begriffe des Sittengesetzes, der gesetzgebenden Vernunft, der Autonomie (gesetzgeberische Selbstbestimmung) und der Heteronomie (gesetzgeberische Fremdbestimmung) usw. kreisen. Die Wahrheit ist aber: Es gibt zwar a priori Obligates und Verwerfliches, jedoch keine apriorischen Gebote oder Verbote.
Es gibt jedoch einen zweiten möglichen Einwand, der vielleicht etwas verzwickter ist. Dieser könnte sich nicht nur daran stören, dass korrekte apriorische Ethik scheinbar über das allgemeine Handeln um des Höchsten willen hinaus weitere und weit konkretere Tugenden, Werte und Normen inferiert, z.B. Tugenden wie Wahrhaftigkeit, Barmherzigkeit und Gerechtigkeit, oder Werte wie Leben, Vernunft und Wissen, oder Werke wie Nothilfe und Schutz der Schwächsten der Gesellschaft, ja Wertegebilde, die als ganzer Sphärenkomplex der sittlichen Ratio, als Wertegefüge oder als Wertehierarchie daherkommen.10 Er könnte obendrein daran Anstoß nehmen, dass während Werte in einer korrekten Vereinzigungslehre auf Gott und nichts anderes zurückgehen, in den Anfangsgründen einer korrekt und konsequent ausgearbeiteten apriorischen Ethik der Gottesbegriff aber zunächst gar nicht vorkommt; dort werden Wertableitungen bereits vorgenommen und zahlreiche ethische Sätze etabliert, bevor überhaupt irgendein Gottesbegriff zur Verfügung steht. Dies kann den fatalen Anschein wecken, dass ihr zufolge objektive Werte auf etwas oder jemanden anderes zurückgingen als auf den Einen und Absoluten ...
Allerdings sollte man sich, bevor man sich diesem Anschein hingibt, den Ursatz der Ethik vor Augen führen, um erstens schon nach einem flüchtigen Blick festzustellen, dass nichts an ihm in irgendeiner noch so entfernten Weise die Rückführbarkeit aller wahren Werte auf Gott verneint: |Würdiges ist würdig|
.11 Immerhin enthält er weder eine Negation noch einen Begriff, dessen Entsprechung nicht der Allschöpfer sein könnte. (Es wird ja wohl niemand ernsthaft in Frage stellen, dass Gott die Eigenschaft der Würdigkeit zukommt.)
Der Satz selbst ist übrigens nicht (und ebensowenig die „Vernunft“!) notwendigerweise der Urwertträger, von dem sich alle Werte ableiten, zumal die Letztbegründung stets lautet: ... weil Würdiges würdig ist
, und nicht: weil der Satz ‚|Würdiges ist würdig|’ würdig ist
. Doch er „produziert“ nun mal weitere, zweifellos gültige Sätze.12 Diese sind ihrerseits Würdigkeitszuordnungen, was darauf hindeutet, dass sich schon der Ursatz auf einen echten (d.h. notwendig statt nur potentiell Würdigkeit besitzenden und faktisch statt nur hypothetisch dem Geist des Subjekts Gegenstand seienden13) Urwertträger bezieht, von dessen Würdigkeit sich die zugeordneten Würdigkeiten (V) ableiten, zumal sonst eine Ableitung nicht möglich wäre. Bei der Betrachtung des Ursatzes lässt sich auf den ersten Blick nun kein anderer Urwertträger ausfindig machen als (objektiv und wahrhaft) Würdiges allgemein. Da dies weder ein Individualbegriff ist noch das Würdige an dieser Stelle auch nur im Geringsten spezifiziert wird, kann man zwar nicht sagen, dass der Ursatz den Allschöpfer meine (von dem wir einen verhältnismäßig spezifischen Individualbegriff haben), aber auch nicht, dass er etwas anderes als den Allschöpfer meine. Zunächst legt nichts am Ursatz für seinen Urwertträger irgendeine Eigenschaft fest, weder reelle Existenz noch Nicht-Existenz, weder Abzählbarkeit noch Unabzählbarkeit, weder Zusammengesetztheit noch Unzusammengesetztheit, weder Materialität noch Immaterialität, außer reine Würdigkeit.
Zugleich ist durch denselben Ursatz klar, dass nichts außer dem Urwertträger wahrhafte Würdigkeit besitzt, so dass alles andere außer ihm entweder keinerlei oder allenfalls von der seinigen abgeleitete, relative Würdigkeit besitzen kann, während seine unabgeleitet und absolut ist. Spätestens hier sollte auffallen, dass diese zunächst als einzige vorliegende Eigenschaft des Urwertträgers der apriorischen Ethik in der Theologie der Vereinzigung zugleich eine notwendige Eigenschaft Gottes ist, die in dieser Absolutheit ausschließlich Ihm zukommt. Dies zusammen mit der Tatsache, dass der Ursatz keinen Individualbegriff enthält und somit nichts, das unter Verdacht stehen könnte, eine andere Entsprechung als Gott zu haben (nicht einmal eine zutreffende Beschreibung könnte einen solchen Verdacht sonst verhindern), ermöglicht jedem, der die apriorische Ethik aus der Perspektive der Vereinzigungslehre betrachtet, sie nicht nur als konfliktfrei zu ihr, sondern auch geradezu als Bestätigung dafür anzusehen, dass alle Werte auf Gott , und zwar auf Gott allein, (letztlich) zurückgehen. In einer am Stil der Syllogistik angelehnten Veranschaulichung zeigt sich das folgendermaßen:
Langfristig ist eine derartige Vermengung von Analytik und Dogmatik nicht nötig (und erkenntnistheoretisch eine suboptimale Vorgehensweise, gelinde ausgedrückt), denn im Verlauf einer stringenten und konsequenten Ausarbeitung korrekt fundierter Ethik ergibt sich ohnehin eine vollkommene Vereinzigungslehre als notwendige Implikation. Dennoch war es wichtig zu zeigen, dass aus der Perspektive einer solchen die optimale Ethik die Werte an keiner Stelle dezidiert auf etwas anderes zurückführt als auf Gott.
Obendrein ist gerade ein a priori14 gültiges ethisches Prinzip dazu geeignet, die Vorzüglichkeit und den höchsten Rang der Vereinzigungslehre gegenüber allen anderen Lehren ins Licht treten zu lassen. Denn ein solches a priori gültiges Prinzip ist eine unabdingbare Voraussetzung für die Gültigkeit jedweder normativen Lehre. Mehr noch: Ohne ein solches Prinzip erweist sich echte und aufrichtige Vereinzigung (tawħîd) als ganz und gar unmöglich. Immerhin ist |Gültigkeit| kein genuin theologischer, sondern ein epistemologischer, wenn nicht dezidiert (meta-)ethischer Begriff.15 Wer daher absolute Gültigkeit für irgendeine Lehre beansprucht, ist auf den Beweis einer aller Offenbarung vorausgehenden Ethik angewiesen.
Die Unmöglichkeit wahrhafter Vereinzigung ohne ein unabhängig von offenbarten Befehlen gültiges ethisches Prinzip als Grundlage lässt sich sowohl auf aufwendige16 17 als auch auf weniger aufwendige Weise demonstrieren: Der den beiden hierin entgegengesetzten Thesen gemeinsame Ausgangspunkt ist, dass Vereinzigung höheren Ranges und von größerer Würdigkeit als sein Gegenteil ist, dieses hingegen unwürdig. Nur ist der Vertreter des Gegenstandpunkts der Ansicht, dass der Grund hierfür allein sei, dass Gott Ihn zu vereinzigen geboten habe. Dies kann er nur als alleinigen Grund ansehen, wenn für ihn von Gott Befohlenes grundsätzlich höheren Ranges ist als sein Gegenteil (was für sich alleine genommen durchaus korrekt wäre). Für die Einnahme einer Position zur Verteidigung dieser These stehen ihm höchstens18 vier Optionen zur Verfügung:
Position Nr. 1 wäre nichts anderes als eine Identifizierung der Begriffe des Würdigen und des von Gott Befohlenen, und zwar im Sinne einer Definition nicht nur zweiter, sondern erster Ordnung19. Dies wäre ein offensichtlicher Fehler, denn nicht nur sind die beiden Begriffe prima facie unterschiedlich, sondern es ist, wie schon weiter oben erwähnt, auch klar, dass es Würdiges gibt, das nicht von Gott befohlen ist: Gott selbst. Die Begriffe sind also keineswegs identisch. - Zudem bedeutet die Haltung nichts anderes, als einer Sache, die mit Gott nicht identisch ist, neben Ihm unabgeleitete und absolute Würdigkeit zuzuschreiben, was im diametralen Widerspruch zum Prinzip der Vereinzigung steht.
Mit Position Nr. 2 würde er entweder den bereits in der ersten Position enthaltenen Fehler wiederholen, oder in einen Zirkelschluss geraten, oder die Würdigkeit auf etwas außerhalb des eigentlichen Sachverhalts Liegendes zurückführen (z.B. darauf, dass Gott von Seinem Wesen her höchste Würdigkeit besitzt, oder auf unsere Schuldigkeit unserem Schöpfer gegenüber als Seine Geschöpfe), was mit der Aufgabe seines Standpunkts gleichbedeutend wäre.
Position Nr. 3 verwechselt die Ebenen des Ontologischen und des Axiologischen und unterstellt der Allmacht Gottes, deren Begriff spezifisch ontologischen Bezugs ist, über diesen hinaus einen axiologischen Bezug, mit dem Macht schon begrifflich überhaupt nichts zu tun hat. Dass es jedenfalls ausgeschlossen ist, dass einer Sache Würdigkeit direkt anerschaffen wird, erweist sich im Zuge der Berücksichtigung der evidenten Tatsache, dass auch Sachen, die der Realität noch gar nicht angehören und ihr u.U. niemals angehören werden, einen Wert haben können. So können beispielsweise Handlungen, die noch gar nicht getan (realisiert) wurden, schon vorab würdig oder unwürdig sein. Der erste Mord in der Menschheitsgeschichte, der Brudermord Kains an Abel war schon vor seiner Begehung als verwerflich bekannt, und kein vernünftiger Mensch würde behaupten, erst mit seiner Begehung sei er verwerflich geworden. Die Würdigkeit oder Unwürdigkeit einer Handlung kommt nicht in erster Linie ihrer realitären Ausprägung zu, sondern ihrer Kategorie, die kein Bestandteil der Realität ist. Wer meint, ein Wertzukommnis könnte eine direkte Auswirkung einer willentlichen Bestimmung oder Befehles Gottes sein, müsste daher meinen, dass sich der Befehl auf die (noch) gar nicht in der Realität befindliche bloße Idee des jeweiligen Wertträgers auswirke. Der Widerspruch: Einerseits meint er angesichts seiner Annahme einer dem Befehl innewohnenden Wirkung, es sei etwas geschehen oder gebe etwas, das eine neue Realität (Wirklichkeit) herstelle, andererseits handelt es sich bei dem Gegenstand um gar nichts Wirkliches, sondern nur Ideelles, das seine Idealität gar nicht durch den Befehl verlässt. Bzw.: Die unausgeführte Handlung gehört zweifelsohne zur grenzenlosen Menge der urewigen Möglichkeiten Gottes (die potentielle Handlung würde durch die Macht Gottes, Realität werden, aber nur, wenn Er will). In diesen Möglichkeiten ist sie so, wie sie ist, und nicht anders, von Ewigkeit her enthalten.20 Wenn man nun behauptet, mit einem auf sie gerichteten Befehl Gottes würde sie direkt und an sich würdiger werden, käme dies der Behauptung gleich, Gott würde sich der Möglichkeit berauben, die Handlung so in die Realität zu setzen, wie sie vor dem Befehl war, sowie der Behauptung, etwas von den ewigen Eigenschaften Gottes sei veränderlich, ja begrenzbar. Und dies ist mit einem wahren Einzigkeitsglauben unvereinbar.
Wert bzw. Würdigkeit ist keine Eigenschaft des Wesens irgendeiner Sache oder Entität außer Gott; mit einer Veränderung des Wertes einer Sache ginge keine Veränderung ihres Wesens, ihrer Form oder ihres Zustands einher, und kein sonstiger Träger eines Wertes lässt sich bloß anhand seines Wertes in irgendeiner Weise beschreiben. Die Änderung des Wertes einer Sache würde nicht im geringsten Maß eine Beeinflussung der Sache darstellen. Schon das Wesen von Wert und Wertzukommnis schließt aus, dass diese eine direkte Wirkung oder das direkte Ergebnis einer solchen sein könnten.
Außer sich mit der Annahme einer derartigen intrinsisch-notwendigen Wirkung von Gottesbefehlen zu verzetteln, könnte sich jemand noch auf eine extrinsisch-kontingente Wirkung derselben berufen, nämlich die Bestimmung Gottes, dass Seinen Geboten zu gehorchen Lohn und ihnen zuwiderzuhandeln Bestrafung einbringt. Eine hierauf beruhende Begründung beinhaltet aber einen bereits in Position Nr. 1 enthaltenen Fehler, und zwar die Identifizierung nicht-identischer Begriffe miteinander (hier |Würdigkeit| und |Glücksdienlichkeit|), oder den in Position Nr. 2 enthaltenen Fehler der unabsichtlichen Aufgabe des Standpunkts durch Rückführung der Würdigkeit auf etwas außerhalb des eigentlichen Sachverhalts Liegendes, noch dazu auf eine vermeintliche Wichtigkeit der eigenen Wohlseligkeit und somit der eigenen Person statt auf Gott und Seine Würdigkeit (im schlimmsten Fall).
Was Position Nr. 4 betrifft, so ist sie entweder bloß die Umformulierung oder Variante einer der Positionen Nr. 1 und Nr. 2 und beinhaltet hierdurch denselben Fehler, oder sie ist schon nach den Maßstäben der Vereinzigungslehre mit Nr. 1 die verwerflichste aller vier Positionen. Denn Unentschiedenheit hinsichtlich der Quelle des Wertes eines Wertträgers (hier des Prinzips der Vereinzigung) geht unvermeidlich mit der Unfähigkeit einher, ihn aufrichtig, dauerhaft und wahrhaft wertzuschätzen.
Freilich lässt sich die Unabdingbarkeit auf noch simplere Weise demonstrieren. Dazu mögen wir uns zunächst vergegenwärtigen, um welche Einzigkeit es in der Einzigkeitslehre zu allererst geht, nämlich um die Einzigkeit Gottes in der Göttlichkeit. Nun impliziert Göttlichkeit notwendigerweise nicht nur Würdigkeit, sondern auch die absolute Vollkommenheit jeder Implikation der Göttlichkeit. Im Anschluss an diese Erinnerung sei nur noch die sich gleichsam selbst beantwortende Frage gestellt: Wessen Würdigkeit ist die vollkommenere, die desjenigen, welcher der grenzenlosen Anbetung und Liebe schon vorab und ohne jegliche Aufforderung unbedingt würdig ist, oder etwa desjenigen, der dessen nicht würdig ist, bis er sie befohlen hat?
Somit ist klar, dass wer Gott wahrhaft vereinzigen will, dies (auch) auf der Grundlage eines apriorischen ethischen Prinzips tun muss,21 und dass jede sonstige Vereinzigung vonseiten irgendeines Menschen allenfalls lediglich eine Pseudo-Vereinzigung ist.
Im Artikel „Die Urwahrheit - Evidenz und Mysterium“ lautet eine der Begründungen der ethischen Notwendigkeit des Glaubens an Gott: Mit der Weigerung, an Gott zu glauben, entzieht man gleichsam aller Ethik mitsamt allen möglichen Normen und Werten die notwendige Grundlage; man würde nichts Absolutes anerkennen, auf dessen Wesen oder Willen man die Gültigkeit von Normen zu Recht zurückführen könnte. Alles erschiene letztlich gleichgültig.
Der ethisch intakt eingestellte Mensch (im Volksmund: „Mensch mit reinem Herzen“) hat ein unnachgiebiges, unverhandelbares und höchstes Interesse daran, dass möglichst keine einzige seiner Handlungen und Haltungen ethisch wertlos ist, und dass eine jede Handlung den optimalen objektiven Wert besitzt, um getan zu werden, und er besteht darauf, dass jedem subjektiven Wertzukommnis in vollkommenem Maße ein objektives entspricht. Aufgrund seiner ethischen Wohlausgerichtetheit wäre er, müsste er aus irgendeinem Grunde meinen, dass nichts einen objektiven Wert habe, schier handlungsunfähig, um nicht gar zu sagen: lebensunfähig. Für ihn ist ethischer Wert Sinn und ethische Wertlosigkeit
Sinnlosigkeit, so dass ohne die Existenz objektiver Wertzukommnisse in
seinen Augen alles sinnlos wäre. Darum, aber noch vorher eben wegen seiner ethischen Wohleingestelltheit (denn Wertbeimessung führt zu aufrichtigem Interesse, aufrichtiges Interesse führt naturgemäß zur Annahme der Gegebenheit des Gegenstandes desselben, solange nichts in relevanter Weise dagegen spricht)22, ist er überzeugt, dass es in der Tat vieles gibt, dem objektiver Wert anhaftet. Früher oder später, ob kraft einer von Neigungen weitgehend unbeeinflussten, natürlichen Intuition oder im Zuge analytischer Reflexionen, werden so einige konkretere Gegenstände seiner Betrachtung als solchen objektiven Wert besitzend in seine Überzeugung einfließen.
Zugleich kann er aber erkennen, dass die von ihm als solche anerkannten Wertträger seines vortheologischen Betrachtungsraums23 ihren Wert, so objektiv er auch sein mag, immer von etwas anderem beziehen und in Wertableitungsketten stehen. Es ist eine Schlüsselerkenntnis: Für jeden der weitaus meisten Werthaber ist erkennbar, dass sein Wert einen Grund hat, der nicht in ihm selbst liegt oder besteht. Besonders leicht einzusehen ist dies bei unstrittig wertvollen Handlungen - keine einzige lässt sich aus sich selbst heraus als Pflicht oder werthaft begründen, sondern im Gegenteil sind die hinter ihr stehenden eigentlicheren Wertträger meist schnell ermittelt. Im Zuge seiner Kontemplation stellt er darüber hinaus wiederholt fest, dass sogar der Wert vieler Werthaber, deren Wert ihm zuvor intrinsisch vorkam, gar nicht intrinsisch ist, sondern eben abgeleitet, so dass er sich selbst bei den wenigen übrigbleibenden Wertträgern, deren Wert er sich vielleicht nicht erklären kann, nicht völlig gewiss sein kann, ob ihr Wert nicht doch auf etwas anderes zurückgeht, statt unverliehen zu sein; eher muss er gemäß dem Induktionsprinzip dazu tendieren, auch ihren Wert als extrinsisch einzustufen.
Mehr noch: An einer Wertableitungskette hat das letzte Element einer hypothetischen Rückverfolgung - und nur dieses - grundsätzlich immer absoluten Wert, da ihm dieser unabhängig vom Wert jegliches Anderen zukommt. Die Absolutheit eines Wertes impliziert nun seine unendliche Größe, d.h. die Verneinung von Dependenzrelativität geht hier unmittelbar mit der Verneinung von Vergleichsrelativität einher, denn eine wertmäßige Vergleichbarkeit kann es nur bei Gegenständen mit dependenzrelativem Wert geben, zumal sich die unterschiedlichen Größen ihres Wertes ja ausschließlich daraus ergeben, dass sie in unterschiedlichem Maße und unterschiedlicher Direktheit dem Träger des absoluten Wertes dienen oder ihn repräsentieren etc., während ein Träger absoluten Wertes keinem anderen dient und nur für sich selbst steht, also auch nicht in irgendeinem unterscheidbaren Maße. Sein Wert muss also als unendlich groß gedacht werden. Unendlich großer Wert verlangt für eine aufrichtige Haltung zu seinem Träger aber die seine exklusive Zuschreibung, d.h. keinen weiteren Träger vergleichbaren Werts neben ihm anzuerkennen, da dies eine Relativierung wäre, die niemand übers Herz bringen würde, der irgendeinem Bewertungsgegenstand aufrichtig unendlich großen Wert beimisst. Wenn das als Träger noch unerklärten Werts Übriggebliebene, dessen Identität nicht diejenige Gottes ist, in zwei oder mehr Gegenständen besteht, geht der ethisch wohleingestellte Mensch also aus Vernunftgründen von der Extrinsität ihres Wertes fest aus und behält sich allenfalls vor, - wenn überhaupt - dem Wert irgendeines einzelnen von ihnen alleinig Intrinsität zuzuerkennen. Früher oder später muss er allerdings einsehen, dass es ihm ohnehin nicht möglich ist, irgendeinem von ihnen dauerhaft und ernsthaft einen absoluten Wert beizumessen, da er ihm infolge der Beimessung eines unendlich großen Werts, der apodiktisch grenzenlose Verehrung fordert, im Zuge dieser sogleich Wesenseigenschaften absprechen müsste, die er an ihm unleugbar wahrnimmt (ein Beispiel für eine solche offensichtliche Eigenschaft wäre z.B. bei dem Wertträger der Gerechtigkeit u.a. seine Unfähigkeit, für sich selbst einzutreten). Ausgerechnet die vollumfängliche Hinnahme seines Wesens und seiner Identität widerspräche seinem vermeintlichen Wert, wiewohl doch dieser gerade in seinem Wesen wurzeln sollte.
Als Synthese seiner einerseits unerlässlichen inneren ethischen Einstellung und seiner andererseits unabweisbaren Kontemplationserfahrung kommt er zu dem Schluss, dass alle objektiven Werte jeglicher Wertträger seines Betrachtungsraums, und handele es sich hierbei auch um große und populäre Grundwertträger, zwar tatsächlich objektiv, jedoch rein relativer Natur sind. Mit der Grundeinstellung eines Individuums von vollkommener ethischer Gesinnung ist es aber unvereinbar, es hierbei zu belassen, da dies der Annahme gleichkäme, dass es nichts gebe, dem wahrhafter Wert innewohnt. Folglich nimmt der das wahrhaft Gute aufrichtig wertschätzende Mensch notwendigerweise etwas seinen vortheologischen Betrachtungsraum absolut Transzendierendes an, dem der Ursprung und/oder Verleiher aller Werte in irgendeiner Weise (sei es a priori oder a posteriori) zu sein angemessen ist, und somit ebenso notwendigerweise etwas,
Mag er sich vielleicht nicht ganz von Anfang an Gedanken darum machen, wie und ob überhaupt jenes absolut Transzendente strukturiert ist, ja nicht einmal, ob sein Wesen das einer Entität oder aber einer Idealität (z.B. eines bloßen Prinzips oder einer Eigenschaft) ist, so kommt für ihn, es sich aus mehreren Elementen zusammengesetze Menge oder eine Gruppe von Entitäten zu denken, gleichwohl auf keinen Fall in Frage, da es erstens infolge der Größe seines Wertes zu heilig ist, um über es etwas zu denken oder zu behaupten, wofür es zu denken oder zu behaupten keinerlei rationalen Anlass gibt, geschweige denn, um es gedanklich zerteilen zu dürfen, und zweitens die Annahme auch nur potentiell konfligierender finaler Wertursprünge mit seiner aufrichtigen und entschlossenen ethisch wohlverfassten Ausrichtung unvereinbar und daher unbedingt zu vermeiden ist.
Die weiteren Attribute, welche er, auch ohne den kleinsten spekulativen Beweis dafür zu verlangen, dem transzendenten Absoluten zuschreibt (z.B. Realexistenz, Lebendigkeit, Urewigkeit, Unvergänglichkeit, Allwissenheit, Wille, Allmacht), sowie diejenigen, deren Zuschreibung er sich kategorisch enthält (z.B. Bedürftigkeit, Leblosigkeit, Schwäche, Sterblichkeit), ergeben sich aus der Höchstrangigkeit jenes Höchsten, so dass sie sich unter dem Begriff der deskriptiven Göttlichkeit zusammenfassen lassen - dahinter auch nur im Geringsten zurückzubleiben, lässt unendlich großer Wert nicht zu. Er wird ihm möglichst alle und ausschließlich solche Attribute zuschreiben, die einem Träger eines solchen Wertes angemessen sind, folglich, die sein ethisches Interesse an ihm sowie seine Aufmerksamkeit ihm gegenüber begünstigen, wahren und aufrechterhalten, und er wird sich der Zuschreibung jedes Attributs auf das Strikteste enthalten, das irgendwie begünstigen könnte, dass er innerlich das Höchste auch nur im geringsten Ansatz einmal marginalisiert oder mit seinem Intellekt irgendwie ignoriert,24 oder dessen Zuschreibung den Einfluss seiner Begierden und niederen Neigungen fördert. Die größtmögliche Hoheit, die er ihm beimessen kann - Hoheit lässt sich nur als Verhältnis des Höchsten zu allem Übrigen oder auf ihm beruhend denken -, ist diejenige der absoluten und vollkommenen Herrschaft über alles, dessen Beherrschtwerden denkbar ist (einschließlich des beimessenden Individuums selbst). Vollkommene Herrschaft beruht aber nicht nur auf faktenrelevanten Sachverhalten wie unbegrenzter Macht über alle Dinge, sondern zusätzlich auf dem ethisch relevanten, objektive Rechte implizierenden Sachverhalt eines sich in seinem Bezug auf alles erstreckenden Schöpfertums. Ohne dieses müsste man zudem ohnehin im Widerspruch zum Rang des Absoluten meinen, dass es sich mit etwas anderem das Attribut der Urewigkeit teile, was zu meinen ethisch jedoch ausgeschlossen ist, da das Individuum sonst hinter dem Maximum zurückbliebe, womit es das Höchste zu würdigen imstande wäre, während das Maximum doch unersetzlich beinhaltet, Jede Zuschreibung eines Attributs der Herrlichkeit exklusiv dem Höchsten vorzubehalten. Die Absolutheit impliziert vollkommene Einzigkeit.
Das Allschöpfertum (ja sogar im erweiterten Sinne eines Schöpfer-, Erhalter-, Versorger- und Rechtleitertums) fest zur Identität des Ursprungs aller Werte hinzuzuzählen ist im Übrigen eine Unumgänglichkeit auch deswegen, weil dies zusätzlich und dennoch im Unterschied zu einem tatenlosen Wesen, das es irgendwie schon in sich tragen wird, als einziges aufgrund seiner selbst irgendetwas wahrhaft zu verdienen, das intellektuell greifbarste ist, womit sich jemand das Wertableitungsverhältnis zwischen jenem Höchsten und allem Übrigen plausibilisieren kann,25 nicht zuletzt im Angesicht der zahllosen Phänomene des umgebenden Kosmos und seiner Kontingenz, die sich als Bestärkung hinsichtlich des hier angenommenen Sachverhalts heranziehen lassen, ja sich sogar aufdrängen.
Das Argument erscheint zwar als Zirkelschluss: Wegen des Wertes gültiger Ethik hat es einen Wert, etwas anzunehmen, von dem sich ihr Wert ableitet - wovon leitet aber jemand den Wert der Ethik ab, bevor er wegen dieses Wertes etwas annimmt, von dem dieser sich ableitet? In dieser Form riskiert es die Unterstellung, von einer stillschweigenden Voraussetzung auszugehen. Doch lässt sich oben erahnen, dass hier keineswegs ein Hehl daraus gemacht wird, dass es in der Tat von einer Voraussetzung ausgeht: nämlich als Rezipienten eine ethisch intakt eingestellte Person vor sich zu haben - eine solche Person wird infolge (!) dieser Grundeinstellung strikt darauf bestehen, dass möglichst ihre gesamte Praxis objektiven Wert besitzt bzw. um eines objektiven Wert Habenden willen geschieht. Und die obige Erläuterung hat gezeigt, dass diese strikte Forderung mit einer Weigerung, an Gott zu glauben, langfristig unvereinbar ist.
Allenfalls die Zweckmäßigkeit des Arguments hinsichtlich seiner Überzeugungsfunktion ließe sich vor diesem Hintergrund kritisch beleuchten. Rennt es bei einem solchen Adressaten nicht offene Türen ein? Dem mag bis zu einem gewissen Grad so sein. Man sollte aber nicht vergessen, dass der Mensch ein komplexes Wesen ist und die Hoffnung nicht fallen gelassen werden sollte, dass ein Argument wie dieses eine Rolle in der Beschleunigung eines ethisch erforderlichen Prozesses oder in der Stabilisierung seines Resultats spielen könnte. Zudem ist es auch geeignet, denjenigen Rezipienten zu adressieren, der im Sinne einer Selbsturteilung nur meint, er habe eine optimale ethische Grundeinstellung. In Bezug auf ihn hat es bereits seinen Zweck erfüllt, wenn es ihm auf diese besondere Weise nahelegt, dass er diese vermeintliche Einstellung bzw. den Grad seiner Aufrichtigkeit in ihr besser nochmal überprüfen sollte.
Mit einer gewissen Überstrenge könnte man einwenden, dass nun zwar gezeigt worden sei, dass die unerschütterliche Annahme der (zunächst wie auch immer definierten) Existenz eines absolut Würdigen eine notwendige Voraussetzung ist, um irgendeine Ethik auf einer rein intellektuellen Basis als gültig anzuerkennen, und eine solche Annahme unweigerlich die Erweiterung des Begriffs von jenem Absoluten zum (individualen) Gottbegriff nach sich ziehe, diese Erweiterung jedoch eher wie ein bloßer Effekt anmute, der im Unterschied zu seinem Keim für eine Anerkennung objektiv gültiger Ethik gar nicht nötig sei. Analytisch ist der Gottbegriff im rudimentären Grundbegriff des absolut Würdigen in der Tat nicht enthalten, und schon unabhängig vom Grundbegriff ist die Ableitung des Werts alles sonstigen objektiv Werthaften nicht plausibel vermittelbar. Doch folgt die Erweiterung zum Gottbegriff aus ihm nichtsdestotrotz mit einer solchen Notwendigkeit, dass das absolut Würdige für den ethisch wohleingestellten Menschen nur als mit Gott identisch denkbar ist, so dass für ihn am Konzept des absolut Würdigen bei gleichzeitiger Ablehnung auch nur einer einzigen rein ontologisch definierten wesensimmanenten Gotteseigenschaft festzuhalten sich als ebenso unmöglich darstellt wie am Konzept des durch Vier Teilbaren bei gleichzeitiger Ablehnung des Konzepts der geraden Zahl festzuhalten.
Obendrein besitzt, wie gesehen, die im Argument genannte Grundlage nicht nur eine theoretisch-analytische, sondern auch eine praktisch-wirksame Dimension: Mit der Anerkennung des Schöpfertums des Absoluten stellt der Geist die Verbindung her, die es ihm erst ermöglicht, sich die Möglichkeit eines Wertableitungsverhältnisses zwischen dem Absoluten und den Gegenständen der Ethik zu erklären. Anthropologisch bedingt ist dies eine wichtige Voraussetzung für eine dauerhafte Anerkennung objektiv gültiger Ethik und damit auch einer authentischen und stabilen Moralität.
Zumindest aber steht unzweifelhaft fest: Wenn die Weigerung, an Gott zu glauben, analytisch-begrifflich mit der Enthaltung von der aufrichtigen Anerkennung eines objektiv Wertabsoluten nicht identisch ist, so zeigt sie entweder gleichwohl, dass eine solche Anerkennung schon vor der Weigerung nicht vorlag, oder, wenn die Weigerung nicht fallengelassen wird, läuft sie aufgrund der Unvereinbarkeit darauf hinaus, dass die Anerkennung sich schon sehr bald unaufhaltsam in Luft auflöst. Kurz: Der langfristigen Weigerung, an Gott zu glauben, geht die Nichtanerkennung jedes absoluten Ursprungs aller Werte entweder voraus, oder sie folgt ihr in Kürze.