Eine der ersten Arten der Indikatoren des Koran für seinen übermenschlichen Ursprung, mit denen jemals Menschen konfrontiert wurden, war wohl seine literarische Unnachahmlichkeit, heute manchmal unvollständig bis falsch oder zumindest irreführend „Poesie“, „Dichtung“ oder „Schönheit“ genannt.
Naive Betrachtungen sowie halbgare Abhandlungen dieses Phänomens meinen, die literarische Besonderheit und Ästhetik des Koran erschöpfe sich in seinen umfangreichen Reimen und den Assonanzen seiner Vers-Endungen. Besonders meinen fernab von literaturkritischem Urteilsvermögen und Kenntnissen des Arabischen auf dem Boden der Voreingenommenheit gewachsene Erklärungen den Koran fälschlicherweise auf die arabische Literaturgattung des saj' reduzieren1 zu können und suggerieren, dies sei bereits - im Zusammenspiel mit der „Einbildungskraft“ des Gläubigen - die Besonderheit des Koran, oder, gewisse regellose „Abweichungen“ vom Konzept des saj' würden als Vollkommenheit „verkauft“, wiederum vetrauend auf die besagte Einbildungskraft und Gutgläubigkeit der Gläubigen. „Außerdem sorgt diese scheinbare Regellosigkeit dafür, dass der Stil des Qur'an nicht nachgeahmt werden kann, was als weiterer Beweis dafür angeführt wird, dass es sich um ein göttliches Diktat handelt“, meinte ein Kommentator.
Dabei geht es um weit mehr als um bloße Originalität oder Abweichungen von der Norm. Wäre eine beliebige Abweichung von den literarischen Standards das Essentielle, müsste man eher fragen, warum diese Abweichung die Ästhetik der koranischen Rede nicht zerstört hat, statt sie offensichtlich vielmehr zu konstituieren. Zur näherungsweisen Veranschaulichung sei ein Gemälde gedacht, welches aus den selben Substanzen wie eines von Rembrandt besteht und dennoch alle anderen Gemälde übertrifft, da man bei seiner Betrachtung Farben wahrnimmt, die man keiner Stelle des gewohnten Farbspektrums zuzuordnen vermag. Verzückt schaut man und schaut und weiß nicht, wie der Maler das angestellt hat. Zwar ahnt man angesichts dieses Vergleiches auch: Weniger als die anderen Arten enthüllt sich die literarische Art der koranischen Unnachahmlichkeit im Rahmen einer Analyse anstelle des Erlebens, und weniger wird sie wohl den Anspruch erheben, hinsichtlich ihrer Feststellbarkeit nach allgemein anerkannten Kriterien in einem vertretbaren Aufwand dokumentierbar zu sein. Doch muss dies nicht unbedingt von Belang sein, damit derjenige, dessen Gemüt zur Erkenntnis dieser Unnachahmlichkeit gelangt ist, - im Falle der Ablehnung - am Tage des Gerichts zu Recht zur Rechenschaft gezogen wird. Erkenntnis ist Erkenntnis, und sei sie im Extremfall auch ausschließlich individuell, unabhängig davon, ob man weiß, wie auch jeder Andere zu ihr gelangen könnte.
Um jedenfalls das oben Angedeutete allerdings möglichst früh vorwegzunehmen und späten Enttäuschungen vorzubeugen: Der direkte Zugang zu diesem Aspekt der Unnachahmlichkeit des Ehrwürdigen Koran wird denjenigen, die nicht im klassischen Hocharabisch zu Hause sind, teilweise2, und denjenigen, die weder über einen ausprägten Sinn für literarische Höhe und rhethorische Ästhetik noch über breite Erfahrung in der Rezeption narrativer und appellativer Literatur verfügen, vorerst gänzlich verschlossen bleiben. Einem einsprachigen Chinesen zu erklären, warum Meisterwerke von Shakespeare oder Goethe das Gedicht von diesem oder jenem Amateur übertreffen, ist nunmal nicht besonders erfolgversprechend. Dies erst recht, wenn der Chinese literarisch in jeder Hinsicht unberührt ist. Wirklich erschließt sich darum die literarische Unnachahmlichkeit des Koran nur jemandem, der die klassische hocharabische Sprache beherrscht und zugleich in Rhetorik, Literatur und Poesie zu Hause ist. Einem mit einer solchen Sensorik ausgestatteten Leser und Hörer ist, ob er die Erklärung hierfür zu formulieren imstande ist oder nicht, völlig klar, dass das Besondere und über die Reimform Hinausgehende am koranischen Klang kein Produkt der Einbildungskraft des Glaubenswilligen, sondern etwas dem Offenbarungstext Inhärentes ist. Bemerkenswerterweise bietet ihm der Koran selbst eine ebenso simple wie ungewöhnliche Weise, durch die er sich vergewissern kann, dass seiner vermeintlichen Einbildungskraft keine ausschlaggebende Rolle zukommt. Im Koran selbst kommen nämlich - wenn auch an sehr wenigen Stellen - Wortsequenzen vor, an denen irritierenderweise der korantypische, erhabene Klang kurz zu fehlen oder eine kurze Unterbrechung der rhythmischen Ästhetik einzutreten scheint, wenn auch ohne eine Abnahme der grammatischen Korrektheit, der Qualität der Wortwahl oder des phonetischen Gewichts. Keine noch so starke Anstrengungen der Autosuggestion lassen den Eindruck an den betreffenden Stellen verfliegen. Wäre die außergewöhnliche rhythmische Ästhetik ein Produkt der Einbildungskraft des Glaubenden, wäre es ihm nicht möglich, gegen seinen Willen ihr Fehlen an den jeweiligen Stellen wahrzunehmen. (Gleichwohl wird die koranische Vollkommenheit von dieser Auffälligkeit keineswegs vermindert.3)
Und dass das Reimkonzept nicht das Ausschlaggebende ist, lässt sich erst recht feststellen, und zwar durch das einfache, direkte Hören eines einzelnen Verses wie Sure 16:90, der laut einer berühmten Überlieferung auf einen frühen Kenner der Sprachkunst unter den Gegnern des Verkünders des Koran, Al-Walîd b. Mughîrah, eine verzückende Wirkung ausübte, die noch mit einem heutigen hocharabischen Hintergrund bestens nachvollzogen werden kann, oder sogar eines bloßen Stücks eines Verses, wie dem fallamma stay°asû minhu khalaṢû najiyyâ aus Sure 12:80.
Die Kritik, dass ja dann mit dem Hinweis auf den literarischen Aspekt ein Argument vorgebracht werde, das viele ohnehin in diesem Leben wahrscheinlich nicht mehr nachprüfen könnten, ist durchaus nachvollziehbar. Andererseits beinhaltet der Koran neben den literarischen genügend andere Arten von Indikatoren.
Doch als Alternative stehen nicht nur jene anderen Aspekte dieser Unnachahmlichkeit zur Verfügung, sondern gegebenenfalls auch ein indirekter Zugang zu diesem Aspekt - wenn auch leider nur im Sinne eines Surrogats. Es sind Zeugnisse arabischer und nicht-arabischer Kenner und Meister der Eloquenz sowie Experten auf dem Gebiet der Arabistik, der Koranwissenschaft oder anderer zuträglicher Kompetenzen:
Die traditionelle arabische Bildungselite ist seit jeher in einem für heutige europäische Gewohnheiten extremen Maße poesie-versessen, ganz zu schweigen von echten oder gar berühmten Poeten und Sprachwissenschaftlern. Keine einzige jener Koryphäen hat jemals die explizite Herausforderung des Koran angenommen und behauptet, sie habe etwas Ähnliches wie den Koran hervorgebracht, und sei es auch nur eine kleine Sure - auch nicht die Christen und Religionskritischen unter ihnen.4 Und mehr als zahllose Worte sagt das Bild, in welchem so mancher von ihnen beim Rezitieren oder Hören des Koran - auch nach dem hundertsten Mal - reichlich Tränen der Ergriffenheit vergießt.
Al-Ma'arri ist unter den Dichtern und Denken der arabischen Geistesgeschichte nahezu eine Art Inkarnation des Widerspruchs, des inneren wie des äußeren. Aus rationalen Gründen gab es für ihn nicht den geringsten Zweifel an der Existenz Gottes, Seiner Einzigkeit und Seiner Allmacht - und dennoch konnte er das Konzept des Prophetentums anscheinend nicht mit seinem persönlichen Denken vereinbaren. Die vorherrschende Meinung ist, dass er in seinem Frei- und Querdenkertum Religionen einschließlich des Islam ablehnte. Als poetisches Genie war er jedoch so hervorstechend, dass noch heute - nach bald 1000 Jahren - sogar nicht wenige strengreligiöse muslimische Prediger es sich nicht nehmen lassen, manche ihrer Reden mit Zitaten aus seinen Schriften zu schmücken. Trotz seiner Vorbehalte gegenüber dem Konzept der Offenbarung gesteht er in seinem Werk risâlatu l-ghufrân in arabischer Reimprosa hinsichtlich des Koran:
Sowohl der Ungläubige als auch der Rechtgeleitete, sowohl der vom Pilgerpfad Abgeschweifte als auch der sich an sein Vorbild Haltende, sie alle stimmen darin überein, dass diese Schrift, die Mohammed gebracht hat, durch ihre entwaffnende Unnachahmlichkeit eine überwältigende Wirkung hatte und ihre Feinde beben ließ. Weder ist sie einem Ideal nachempfunden, noch ähnelt sie extravaganten Beispielen; sie gehört gehört auch nicht zur metrisch abgewogenen Lyrik und teilt ihre Form weder mit der Rede der Araber noch mit der saj'-Prosa der Wahrsager. Vielmehr tritt sie wie eine leuchtende Sonne in Erscheinung, als ein für jeden sichtbares Licht, ganz gleich, was er geheimhält oder enthüllen mag. [...] Sobald nur ein Vers aus ihr oder auch nur der Teil eines Verses innerhalb der redegewandtesten Worte, zu denen Geschöpfe fähig sind, eingeschoben vorkommt, wirkt er unter ihnen wie ein funkelnder Feuerschweif im Dunkel der Abenddämmerung oder eine einsame Blume in der trockenen Wüste.5
„Der größte arabische Dichter der Gegenwart“ und jahrelanger Favorit für den Literaturnobelpreis, obwohl säkular und religionskritisch, sagt:
Aber das erste Staunen der Araber, das der Koran hervorrief, war ein sprachliches. Sie waren betört durch seine Sprache, durch deren Schönheit und Kunst. Diese Sprache war der Schlüssel, der die Tür öffnete, damit sie in die Welt des Koran eintraten und den Islam als Religion annahmen. Daher ist es unmöglich, auf irgend einer Ebene zwischen dem Islam und der Sprache eine Trennung zu ziehen. Man kann sogar sagen, daß die frühen Muslime, die den ersten festen Kern der islamischen Mission bildeten, an den Koran primär als einen Text glaubten, dessen sprachlicher Ausdruck von ihnen Besitz ergriffen hatte: Sie glaubten an ihn, nicht weil er ihnen die Geheimnisse des Seins oder der menschlichen Existenz eröffnete oder ihnen eine neue Ordnung des Lebens brachte, sondern weil sie in ihm eine Schrift sahen, die nichts Bekanntem glich. Vermittels der Sprache veränderte sich ihr Wesen von innen, und die Sprache war es, die ihr Leben veränderte.6
Er wird als der bedeutendste Dichter der deutschen Sprache angesehen und hatte im Wesentlichen nur im Vergleich zum Original peinlich dürftige Koranübersetzungen zur Verfügung. Doch schon diese Lektüre genügte, um ihn zu dem unvergesslichen Zeugnis zu bewegen:
Der Stil des Korans ist seinem Inhalt und Zweck gemäß streng, groß, furchtbar, stellenweise wahrhaft erhaben7; so treibt ein Keil den anderen, und darf sich über die große Wirksamkeit des Buches niemand verwundern.8
[...] Amplifikationen aller Art, grenzenlose Tautologien und Wiederholungen bilden den Körper dieses heiligen Buches, das uns, so oft wir auch darangehen, immer von neuem anwidert, dann aber anzieht, in Erstaunen setzt und am Ende Verehrung abnötigt.9
Der als Dichtergenie des 19. Jahrhunderts in die deutsche Literaturgeschichte eingegangene sogenannte „letzte Dichter der Romantik“ war bei seiner Begegnung mit orientalischer Dichtkunst über ihren Reichtum so verzückt, dass er sich in einem Brief, den er seinem Berliner Freund Moses Moser schrieb, in schöngeistiger Hinsicht mit den Persern identifizierte:
Eigentlich bin ich auch kein Deutscher, wie Du wohl weißt. [...] Ich
bin stolz darauf ein Perser zu sein. Daß ich deutsche Verse mache hat
seine eigene Bewandtnis. [...] O Firdusi! O Dschami! O Saadi! wie elend
ist Eur Bruder! Ach! wie sehne ich mich nach den Rosen von Schiras!
Deutschland mag sein Gutes haben, ich will es nicht schmähen. Es hat
auch seine großen Dichter."
An dieser Stelle zählt er über ein Dutzend Schriftsteller auf, darunter Rückert und Goethe, und fährt fort, wenn auch die Verkünderrolle Mohammeds mit einer Verfasserrolle verwechselnd:
Aber was ist alle ihre Herrlichkeit gegen Hafis und Nisami. Aber obschon ich ein Perser bin, so bekenne ich doch: der größte Dichter bist Du, o großer Prophet von Mekka, und Dein Coran, obschon ich ihn nur durch die Boyisensche Übersetzung kenne, wird mir so leicht nicht aus dem Gedächtnisse kommen!10
Auch dieser berühmte, unbestritten zu den wichtigsten gehörende deutsche Dichter weiß zu berichten:
[...] ich lese den Koran, er nimmt mir, stellenweise, eine Stimme an, in der ich so mit aller Kraft drinnen bin, wie der Wind in der Orgel. Hier meint man in einem Christlichen Lande zu sein, nun auch hier ists längst überstanden, christlich wars [...]. Und da machen Protestanten und amerikanische Christen immer noch wieder einen Aufguß mit diesem Teegrus, der zwei Jahrtausende gezogen hat, Mohammed war auf alle Fälle das Nächste; wie ein Fluß durch ein Urgebirg, bricht er sich durch zu dem einen Gott, mit dem sich so großartig reden läßt jeden Morgen, ohne das Telephon ‚Christus’, in das fortwährend hineingerufen wird: Holla, wer dort? - und niemand antwortet.11
Obwohl diesem „Goethe der Russen“ lediglich eine russische Übertragung des Ehrwürdigen Koran aus dem Französischen zur Verfügung stand, hinterließ ihre Lektüre in ihm einen derart tiefen Eindruck, dass dies ihn zum Verfasen von Gedichten veranlasste, in deren Stil und Inhalt der Einfluss des Koran unverkennbar ist. Kennern des Koran begegnet in diesen Werken die ebenso deutliche wie liebevolle Verarbeitung vertrauter Elemente und Motive wie z.B. aus den Suren Nr. 53, 55, 73, 74, 86, 89, 94 und 97, sowie auch surenübergreifender koranischer Stile. Die „Islamische Zeitung“ veröffentlichte über die Beziehung Puschkins zum Koran und Islam in ihrer Februar-Ausgabe des Jahres 2002 einen interessanten Artikel von Dr. Muhammad Junis.
Die Koranübersetzung dieses renommierten britischen Orientalisten gilt als die sprachlich wohl gelungenste im englischen Sprachraum. Seine Kompetenzen auf dem Gebiet des Arabischen und der arabischen Lyrik sind unbestritten. Sein Zeugnis lautet:
Das rhetorische und rhythmische Arabisch des Korans ist so charakteristisch, so kraftvoll, so sehr gefühlvoll, daß jede beliebige, an die Natur der Dinge gebundene Version nur eine arme Kopie der glänzenden Pracht des Originals ist.12
Bei diesem Versuch, die Ausführungen meiner Vorgänger zu verbessern und etwas vorzulegen, was als Nachahmung gelten könnte, bemühte ich mich kleinmütig, die erhabene Rhetorik des arabischen Koran zu studieren, den verzweigten und reichlich variierten Rhythmus, der - abgesehen von der Botschaft selbst - das unbestreitbare Anrecht des Koran gründet, zu den größten literarischen Meisterstücken der Menschheit zu gehören... Dieses bezeichnende Merkmal, - ‚die unnachahmliche Symphonie’, wie der Gläubige Pickthall das von ihm als heilig angesehene Buch beschreibt, ‚deren Klänge schon die Menschen zu Tränen rühren und zur Entzückung hinreissen’ - ist von früheren Übersetzern nahezu völlig ignoriert gewesen; es überrascht daher nicht, daß das, was sie geschrieben haben, in der Tat verblichen und plump klingt, im Vergleich mit dem herrlich gezierten Original.13
Der Kosmopolit, Übersetzer und Korankommentator schreibt im Vorwort seines Werks „Die Botschaft des Koran“:
Diese Haltung der Muslime dem Qur'an gegenüber verwirrt in der Regel den westlichen Menschen, der sich dem Qur'an mittels der einen oder anderen der vielen vorhandenen Übersetzungen annähert. Wo der Gläubige, der den Qur'an auf arabisch liest, Schönheit sieht, meint der nichtmuslimische Leser oftmals ‚Ungeschliffenheit’ zu erkennen; die Kohärenz der qur'anischen Weltsicht und ihre Bedeutsamkeit für die Lage des Menschen entgehen ihm völlig und erscheinen im Gewand dessen, was in Europas und Amerikas orientalistischer Literatur häufig als ‚inkohärentes Umherschweifen’ beschrieben wird;* und Passagen, die für einen Muslim erhabene Weisheit ausdrücken, klingen für das westliche Ohr oft ‚flach’ und ‚wenig inspirierend’. Und doch haben nicht einmal die unfreundlichsten Kritiker des Qur'an jemals geleugnet, daß er tatsächlich die höchste Quelle der Inspiration – sowohl im religiösen wie kulturellen Sinn dieses Wortes für unzählige Millionen von Menschen bot, die in ihrer Gesamtheit einen herausragenden Beitrag zu Wissen, Zivilisation und gesellschaftlicher Errungenschaft des Menschen geleistet haben. Wie ist dieses Paradox zu erklären?
*) So verweisen westliche Kritiker des Qur'an häufig auf die angeblich ‚inkohärenten’ Bezugnahmen auf Gott – oft in ein und demselben Satz als ‚Er’, ‚Gott’, ‚Wir’ oder ‚Ich’ mit den entsprechenden Wechseln des Pronomens von ‚Sein’ zu ‚Unser’ oder ‚Mein’, oder von ‚Ihm’ zu ‚Uns’ oder ‚Mir’. Ihnen scheint die Tatsache unbekannt zu sein, daß diese Wechsel nicht zufällig sind, und nicht einmal das, was man als ‚dichterische Freiheit’ beschreiben könnte, sondern offensichtlich beabsichtigt: ein sprachliches Mittel zur Betonung des Gedankens, daß Gott nicht eine ‚Person’ ist und deshalb nicht wirklich mit Pronomen umschrieben werden kann, die sich auf endliche Wesen beziehen.
Als britischer Linguist, Orientalist und Experte für die arabische Sprache mit deutsch-jüdischen Wurzeln äußerte er sich folgendermaßen über den Koran:
Ein Werk, außerdem, das dermaßen wirksam und geziemend unverträgliche Gefühle hervorruft, sogar in dem entfernten Leser - entfernt, was das Zeitalter, und um so mehr, was die geistige Entfaltung betrifft - ein Werk, das nicht nur den Widerwillen (des Lesers) bezwingt, mit dem er vielleicht seine sorgsame Durchsicht beginnt, sondern dieses feindliche Gefühl in Erstaunen und Bewunderung verwandelt.14
Sie ist die zur Zeit profilierteste deutsche Koranforscherin mit internationalem Renommée und weiß, wovon sie spricht:
Wenn man, wie viele Koranforscher es heute tun, den Koran als eine Art Informationsmedium liest, in dem bestimmte Informationen drin stehen, dann wird man der ganzen Sache nicht gerecht. Der Koran ist sehr stark poetisch geprägt und hat eine ganze Reihe von Botschaften, die er gar nicht explizit, gar nicht eindeutig auf der semantischen Ebene mitteilt, sondern eben durch poetische Strukturen vermittelt, sonst wäre er auch gar nicht so eindringlich. Wenn da bestimmte Informationen stünden, die hätte man vielleicht woanders auch haben können. Das Einzigartige am Koran ist eben seine Vielschichtigkeit, das er auf verschiedenen Ebenen spricht und das ist einerseits natürlich ästhetisch von großem Reiz, aber es ist auch, wenn man so will, rhetorisch oder überzeugungstechnisch von großem Reiz. Wie gesagt, die Aussagen des Korans ließen sich vielleicht in einem ganz kurzen Zeitungsresümee zusammenfassen, das hätte aber keinerlei Effekt gehabt. Es geht wirklich um diese Verzauberung durch Sprache. Sprache selbst wird im Koran auch gepriesen als die höchste Gabe, die der Mensch von Gott erhalten hat. Das hat natürlich zu tun mit Wissen. Sprache ist das Medium des Wissens. Deswegen sollte man auf gar keinen Fall der islamischen Kultur auch noch Wissensfeindlichkeit unterstellen. Also der ganze Koran ist im Grunde genommen ein Preis auf das Wissen. Das Wissen, das sich durch Sprache artikuliert.
Der Koran ist sehr stark poetisch geprägt und hat eine ganze Reihe von Botschaften, die er gar nicht explizit, gar nicht eindeutig auf der semantischen Ebene mitteilt, sondern eben durch poetische Strukturen vermittelt, sonst wäre er auch gar nicht so eindringlich. Wenn da bestimmte Informationen stünden, die hätte man vielleicht woanders auch haben können. Das Einzigartige am Koran ist eben seine Vielschichtigkeit, dass er auf verschiedenen Ebenen spricht und das ist einerseits natürlich ästhetisch von großem Reiz, aber es ist auch, wenn man so will, rhetorisch oder überzeugungstechnisch von großem Reiz. [...] Es geht wirklich um diese Verzauberung durch Sprache.15
Als Islamwissenschaftlerin und ausgewiesene Arabistin, die zudem das jahrzehntelange italienische Standardlehrbuch für Arabische Grammatik verfasste, besitzt ihr folgender Kommentar ebenfalls einiges an Gewicht:
On the whole we find in it a collection of wisdom which can be adopted by the most intelligent of men, the greatest of philosophers and the most skilful of politicians… But there is another proof of the Divinity of the Qur’an; it is the fact that it has been preserved intact through the ages since the time of its Revelation till the present day… Read and re-read by the Muslim world, this book does not rouse in the faithful any weariness, it rather, through repetition, is more loved every day. It gives rise to a profound feeling of awe and respect in the one who reads it or listens to it … It was, therefore, neither by means of violence of arms, nor through the pressure of obtrusive missionaries, that caused the great and rapid diffusion of Islam, but, above all, through the fact that this Book, presented by the Muslims to the vanquished with the liberty to accept it or reject it, was the Book of God.16
Der katholische Theologe, der sich auch mit dem Koran auseinandersetzte und dem die zahlreichen literarisch anspruchsvollen Bibelübersetzungen kaum unbekannt sein werden, von Luther bis hin zu Buber/Rosenzweig, äußert sich folgendermaßen:
All diese Erfahrungen gehen mit Übersetzungen in einzelne andere Sprachen verloren. Verloren geht aber auch der unnachahmliche Eindruck, den der Vortragsstil des Koran- ‚und vorgetragen haben Wir ihn im Vortragsstil’ (Koran 25:32) als sprachliches und musikalisches Erlebnis, als Partitur gleichsam, erweckt. So muss der Koran in Wahrheit als unübersetzbar gelten, und alle Übersetzungen leisten nur ein Schattenwerk dessen, dessen Sonnenglanz nur im arabischen Original blendend hervortritt.17
Genügt schon die reine Wahrnehmung der koranischen Rhythmik und Phonetik, um einen musikalisch hochgebildeten Menschen das Besondere am Ehrwürdigen Koran erkennen zu lassen? So scheint es dem ehemaligen berühmten Musikproduzenten und Freund des Weltstars Cat Stevens ergangen zu sein. Er beschreibt, wie das Erleben einer Koranrezitation der Anlass eines enormen persönlichen Wandels wurde, in dessen Zuge er zu einem islamischen Gelehrten wurde:
Es war in Marokko, am Rande einer Moschee. Dort ist es üblich, dass die Gläubigen zum Ende des Gebets einen Kreis bilden und aus dem Koran zitieren. Ich stand auf dem Vorplatz, die Stimmen drangen bis nach draußen. Es traf mich direkt ins Herz, ich begann zu weinen und konnte stundenlang nicht aufhören, fühlte mich glücklich und befreit.18
Als Spezialist für die arabische Sprache im Rahmen seiner Professur für Orientalische Studien an der University of Malta ist diese Aussage von ihm von besonderem Gewicht:
Trotz der literarischen Exzellenz einiger der langen vorislamischen Gedichte [...] befindet sich der Koran insofern definitiv auf einem eigenen Level, als dass er die hervorragendste schriftliche Manifestation der arabischen Sprache ist.19
Wenn man Goethes Ausdrucksweise kennt, so weiß man, dass die Worte ‚wahrhaft erhaben’ zu den höchsten Prädikaten gehören, mit denen er ein sprachliches Denkmal auszeichnen konnte.(Katharina Mommsen, „Goethe und der Islam“, Goethe-Gesellschaft 1964, Seite 9; „Goethe und der Islam“, Leipzig 2001, Seite 25)