Alles im Universum ist Gott gehorsam
Empört sich der Koran nicht sehr oft darüber, dass viele Menschen Gott gegenüber auflehnend und ungehorsam sind und sagt dann wiederum in den Suren 16:49-50 und 30:26, alles und jeder im Universum sei Ihm gehorsam?
Hiermit ist kein Widerspruch feststellbar, denn:
- Da sich kein Geschöpf von den Naturgesetzen befreien kann, ist tatsächlich
alles in der Schöpfung Gott in dieser Hinsicht gehorsam, auch die entkennerischen
und aufsässigen Menschen. Die Suren 3:83 und 13:15 erwähnen sogar ausdrücklich, dass
sich die Geschöpfe des Alls Gott willig und widerwillig ergeben und für Ihn niederstirnen.
Immerhin folgt jeder Mensch einschließlich seiner Seele andauernd den Befehlen zu atmen, zu schlafen,
seine Lebensversorgung zu sichern und vielen anderen Befehlen:
Und zu Seinen Zeichen gehört euer Schlaf in der Nacht und am Tage, sowie euer Streben nach manchem Seiner Gunstfülle
(30:23). Der Mensch unterschätzt, in einem Strom von wie vielen komplexen Automatismen er auch auf geistiger Ebene permanent schwimmt, und dass die Situationen, in denen er in neuer voller Eigenverantwortung einen Weg des ethisch relevanten Gehorsams oder der Aufsässigkeit einschlägt, ohne dass dies eine bloße kausal eingebundene Folge einer früheren Entscheidung und somit auch als äußerliche Aufsässigkeit ein naturgesetzlicher Gehorsam der Seele wäre, nur punktuell über sein Leben verteilt sind. Dies gilt zumindest für diejenigen, in deren Herzen die spirituelle Achtsamkeit (taqwâ
) abgestorben oder noch unausgereift ist. Sure 9:126 könnte übrigens eine Bestätigung hierfür sein. Auch Iblîs und andere Satane bilden von den genannten Prinzipien keine Ausnahme. - Zu all dem Vorgenannten passt auch, dass im kritisierten Vers (30:26) nicht das gängige Wort für „gehorsam“, muTî€, verwendet wird, sondern qânit. - Das Verb qanata in qânit kann viele, verschiedene Bedeutungen haben: lange stehen; dauerhaft sein; (im Bittgebet) anrufen; (rituell) beten; schweigen; bewegungslos sein; demütig sein; Gottesdienst; gehorsam sein.1 - Besonders interessant könnte die Bedeutung der Anrufung sein, zumal auch Atheisten in Notsituationen Gott anrufen und in anderen Situationen zumindest den beiläufigen Ausruf „O Gott!“ oder „Mein Gott!“ kennen. Sie mögen leugnen, diese Wendungen ernst zu meinen, doch womöglich ignorieren sie die Rolle des Unterbewusstseins, soweit die Leugnung überhaupt der Wahrheit entspricht.
- Der dem Wort dâbbah zugrundeliegende Begriff in 16:49 schließt den Menschen im Arabischen nicht unbedingt ein und ist in der Regel mit „Tier“ zu übersetzen,2 solange es sich bei dem Tier um eines handelt, dass sich auf dem Boden fortbewegt. Auch im Deutschen wird das Wort „Tier“ manchmal benutzt, gerade um ein Lebewesen vom Menschen abzugrenzen, manchmal jedoch wird der Tierbegriff auf ihn wiederum ausgeweitet. Dies muss jedoch aus dem Zusammenhang klar erkennbar sein, was in 16:49 nicht der Fall ist.
- In 16:49 wird das Wort kull („jeder“, „alle“) nicht verwendet.
- Der Inhalt von 16:50 bezieht sich auf die Engel.
- Die Quelle dieser Frage3 vergisst oder verschweigt, dass es bereits in Sure 2:116 eine Formulierung gibt, die im Original derjenigen von 30:26 haargenau gleicht, und in der es ebenfalls heißt: kullun lahû qânitûn. In 2:116 ist dies jedoch eine Antwort auf die Behauptung der Ungehorsamen, Gott habe sich jemanden zum Kind genommen. Diese Ungehorsamkeit ist noch im selben Vers, in welchem der Satz kullun lahû qânitûn vorkommt, erwähnt. Die Nähe dieser Erwähnung zu dem Satz - eine Nähe, deren Größe ja ausschließt, dass der Sprecher die Ungehorsamkeit eines Teils der Schöpfung vergessen haben könnte - ist der Beweis, dass der Sprecher keineswegs mit dem Satz meint, alles sei in jeder Hinsicht Gott gehorsam.
- Als Teil der Argumentation der Verse 2:116-2:117 betrachtet, wird ebenfalls deutlich, dass der in der Mitte dieser Verse platzierte Satz kullun lahû qânitûn bezüglich der aufsässigen Geschöpfe lediglich die naturgesetzliche Fügsamkeit meint. Denn die Verse zielen darauf ab, die Behauptung der Kindsannahme zu widerlegen, indem sie darauf hinweisen, dass alles im Universum Sein Eigentum ist (Somit ist nichts würdig, Sein Kind zu sein, und Er hat keine Kindsannnahme nötig, da schon alles Sein Eigentum ist). Das Funktionieren nach Naturgesetzen oder biologischen Programmen ist wiederum das Zeichen dieses Eigentumseins. Der bloße Gehorsam, der auf eigener Entscheidung beruht, wie z.B. der religiöse äußere Gehorsam, genügt nicht als Zeichen, zumal er auch von Arbeitern gegen Bezahlung geleistet werden könnte.
1 lisân al-€arab zu qanata,
mafâtîħ al-ghayb von Fakhr ad-Dîn ar-Râziyy zu Sure 2:116.
2 Gut zu sehen ist dies an der Beispielstelle Sure 22:18. Siehe auch Sure 27:82, welche
extra erwähnt, dass die dâbbah der Endzeit reden werde, was dazu
passt, dass es nicht normal ist, dass eine dâbbah redet.
3 http://www.answering-islam.org/Quran/Contra/all_obedient.html