Barmherzigkeit oder Gerechtigkeit?
Zu den Attributen Gottes gehört die Gerechtigkeit, die wie Seine anderen Attribute nur als vollkommen denkbar ist. Welcher Raum bleibt dann aber für die allumfassende Barmherzigkeit Gottes, und welcher für Seine absolute Souveränität ({Er verzeiht, wem Er will, und peinigt, wen Er will})?
Hiermit ist kein Widerspruch feststellbar, denn:
- Als zweifellose Grundkonstante gilt, dass niemand im Feuer gepeinigt werden wird, der dies nicht verdient, und niemand stärker gepeinigt wird, als er es verdient. Nach apriorischen Kriterien hat kein Mensch den Eintritt ins Paradies verdient, während außer den Propheten und vielleicht noch einigen wenigen wohl jeder Mensch aufgrund seiner Sünden und seiner Nachlässigkeit im Angesicht der Herrlichkeit des Absoluten die Pein des Feuers verdient. Wenn Gott (erh.) nun aber allen im gleichen Maß/Anteil vergibt, was nicht bedeutet, dass Er jedem alles vergibt, aber immerhin jedem so weit, dass dies seinen Zustand um eine oder mehr (jedenfalls für alle dieselbe Anzahl) Stufen verbessert (u.U. im Voraus), dann würde wohl zwar immer noch ein Teil der Menschheit für ewig in der Peinigung des Feuers verbleiben, für viele aber würde diese Besserstellung ausreichen, um überhaupt nicht gepeinigt zu werden. Als bildhaftes Gleichnis des Prinzips lässt sich eine unermesslich lange Treppe denken, auf der jeder durch die Gerechtigkeit Gottes an seinen angemessenen Platz gesetzt ist, und die ohne die Barmherzigkeit nahezu oder ganz komplett ins Feuer eingetaucht wäre, mit Seiner erbarmungsvollen Gnade nun aber insgesamt nach oben verschoben ist und nun aus dem Feuermeer mit vielen Menschen in das weit darüber schwebende Paradies hineinragt (wobei der Treppenteil dazwischen eine Mitte symbolisieren mag, welche in der zeitlich begrenzten im Unterschied zur unbegrenzten Peinigung besteht) - all dies, ohne dass sich die Abstände der Menschen auf der Treppe zueinander ändern, da sich an der Gerechtigkeit Gottes nichts durch Sein Erbarmen ändert. Für wen die Verschobenheit ausreicht, um ins Paradies zu gelangen, und wer trotz ihrer in der Zone der Peinigung verbleibt, hängt in diesem Modell allein davon ab, welchen Verschiebungsgrad Gott wählt - hierin bestünde die absolute Souveränität Gottes. (Gleichwohl wäre das nur eine sehr vereinfachte Darstellung, die Realität ist sicherlich weit komplexer.)
- Falls jemandem so verziehen wird, insbesondere einem der Insassen des Infernos, dass diese Proportionalität nicht mehr gegeben ist, lässt sich das darin begründet sehen, dass sich der Fall manches Menschen darin unterscheidet, dass er im niederweltlichen Leben das Angebot Gottes zur Verzeihung im Falle des Geständnisses der Sünde und des Bittens um Verzeihung annahm. Gerechtigkeit bestünde hier darin, dass das Angebot für alle gilt, Barmherzigkeit in der Großzügigkeit des Angebots und seiner Einlösung.
- Verfehlungen der Geschöpfe Ihm gegenüber verzeiht Er in Seiner Barmherzigkeit und Souveränität, wie und wem Er will. Was ein Geschöpf aber einem anderen Geschöpf an Unrecht angetan hat, verzeiht Er aufgrund Seiner Gerechtigkeit nicht, solange das Geschöpf seinem Mitgeschöpf nicht verzeiht.