Die 72 Jungfrauen und die Geschlechtergerechtigkeit im Paradies
Wie ist es mit der Gerechtigkeit Gottes zu vereinbaren, dass im Koran anscheinend dem Mann attraktive Partnerinnen im Paradies versprochen werden? Was wird denn der Frau versprochen? Und entspricht es der Würde einer von Gott offenbarten Religion, dass einem Märtyrer 72 Paradiesjungfrauen versprochen werden?
Als Vorbemerkung sei betont, dass es, entgegen des in manchen derartigen „Fragen“ und Hinweisen erweckten Eindrucks, sich hier nur um eines von vielen Details in den mannigfaltigen koranischen Paradiesbeschreibungen handelt, welche in ihrer Art und Vielfalt die Lehre vermitteln, dass es den gottesfürchtigen Frauen und Männern im Paradies an nichts mangeln und ihre dortige Existenz auf allen Ebenen ein Wohlleben sein werde, sowohl auf physischer als auch auf metaphysischer Ebene, sowohl auf materieller als auch auf immaterieller Ebene, und sowohl auf sinnlicher als auch auf übersinnlicher Ebene, genauer gesagt: auf der Ebene des Wohnens (39:20) wie denen des Essens (56:21), des Trinkens (56:18), der Kleidung (18:31), der intimen Sinnlichkeit (3:15, 56:36), aber auch der familiären Harmonie (13:23, 52:21), der gesellschaftlichen Harmonie (15:47), des psychischen Gleichgewichts und Seelenfriedens (56:89), der intellektuellen Erfüllung (37:50 ff., 74:40 ff., evtl. 83:18-21), der Spiritualität (10:10), bis hinauf zur Ebene der Beziehung zwischen Schöpfer und Geschöpf (9:72), der göttlichen Nähe (56:11, 83:15) und des Unaussprechlichen (32:17, 10:26). Derweil lassen sich die sinnlich-materiell scheinenden Freuden, so sie denn überhaupt als sinnlich-materiell aufzufassen sind, als Vorstufen einer Entwicklung zu den höheren Zuständen und Ereignissen verstehen. Manches spricht aber auch dafür, dass ihre Erwähnungen sich trotz der aus der irdischen Sphäre einigermaßen vertrauten Bezeichnungen auf Unvorstellbares beziehen und eher nur das Verhältnis jener Dinge untereinander und mit dem Paradiesbewohner mit dem der irdischen Dinge vergleichbar ist.1
Nach dieser Vorbemerkung lässt sich sagen, dass kein Widerspruch feststellbar ist, denn:
- Was in deutschen Übersetzungen (von meist männlichen Übersetzern!) mit „Gattinnen“ übersetzt wird, ist das arabische Wort azwâj. Dieses ist - anders als zawjât - nicht geschlechtsspezifisch und kann an sich genauso männlich mit „Gatten“ oder „(Ehe-)Partner“ übersetzt werden. Somit können rechtschaffene Frauen auch unter diesem Aspekt ebenfalls edle Partner im Paradies erwarten.
- An einigen Stellen des Koran ist durchaus auch im arabischen Original von Wesen in deutlich weiblichen Bildern die Rede, welche die Glaubenden im
Paradies erwarten (z.B. 55:72, 78:33). Dies ergänzt den vorigen Punkt und widerspricht ihm nicht. Auch steht
es nicht in Konflikt mit der Gerechtigkeit Gottes, dass hierdurch statistisch oder gewichtungsmäßig die Tendenz
zur Erwähnung weiblicher Partner geht. Denn mit den rezitierbaren Paradiesbeschreibungen legt der Ehrwürdige Koran
den glaubenden Frauen und Männern ein barmherziges Mittel zur Hand, sich durch die Rezitation stets zu einem hohen Maß
an guten Werken zu motivieren und standhaft Verfolgung und Spott zu ertragen. Und da Gott {erh.}
Mann und Frau erschaffen hat und seine Geschöpfe am besten kennt und weiß,
dass im Allgemeinen die Ankündigung einer Schar kräftiger
Männer bei so mancher Frau eher Fluchtverhalten als Vorfreude auslöst, ist es nur weise,
zur korrekten Motivation eine entsprechende Gewichtung in den Erwähnungen vorzunehmen.
Jedenfalls bestätigen Studien wie auch die allgemeine
Erfahrung, dass Männer sich aus natürlichen oder kulturellen Gründen durch das andere Geschlecht stärker
zu Aktivitäten motivieren lassen als umgekehrt.2
- Umgekehrt und gerechterweise spricht der Koran die weibliche Natur mit vielerlei
Paradiesbeschreibungen an, für die bei Männern weniger Interesse besteht als bei Frauen, auch wenn dieses natürlich-weibliche
Interesse bei mancher „modernen Frau“ durch künstliche Umerziehungsprozesse
nur noch in verstümmelter Form vorhanden ist, z.B. an
lieblichen und dienstbaren ewigen Paradieskindern und -knaben, prachtvollen, königlichen Gewändern und edlem Schmuck.
Wissenschaftliche Experimente3 untermauern die Weisheit dieser Tatsache:
- Die durchschnittliche Pupillenfläche von Männern beim Anblick einer unbekleideten Frau nimmt um 18 Prozent zu, die von Frauen hierbei nur um 5 Prozent.4
- Die durchschnittliche Pupillenfläche von Frauen beim Anblick eines Säuglings nimmt um 17 Prozent zu, beim Anblick einer Mutter mit ihrem Säugling sogar um 24,5 Prozent, die von Männern hierbei nur um 0,2 Prozent und 5,5 Prozent.
Rein sprachlich betrachtet hat das im Koran u.a. verwendete Wort für (Paradies-)Knaben (ghilmân, sg. ghulâm) die Sekundärbedeutung „(männl.) Diener“ und kann in dieser Bedeutung auch erwachsene Bedienstete meinen. Inwiefern dies koranexegetisch und für dieses Thema relevant ist, muss jeder für sich entscheiden.
- Falls Polyandrie im Paradies denkbar ist, ist es auch insofern sinnvoll, diese höchstens andeutungsweise zu erwähnen, um nicht zur Aufweichung der für das irdische Leben bestimmten und mit ihr nicht vereinbaren Ordnung zu motivieren.
- Es ist recht aufschlussreich zu sehen, wie sich als aufgeklärte Menschen verstehende Polemiker, zu deren stolz und bisweilen arrogant vertretenen westlich-modernen Einstellungen es normalerweise gehört, einen rationalen und neutralen bis positiven Blick auf die menschliche Sexualität zu haben, sich diese eine von vielen koranischen Paradiesbeschreibungen herauspicken und als verspottenswert darstellen. - Für Glaubende ist jedoch klar, dass partnerschaftliche Intimität im Paradies frei sein wird von allen Begleiterscheinungen und Eigenschaften, die im Diesseits zum Anlass genommen werden könnten, sie als würdereduzierend anzusehen.
- An keiner einzigen Stelle im Ehrwürdigen Koran ist von 72 Jungfrauen die Rede; die Erwähnung der Zahl 72 kommt auch sonst überhaupt nicht im Koran vor. Die meisten Muslime erfahren von „72 Paradiesjungfrauen“ zum ersten Mal aus westlichen Medien und westlichen Polemiken, welche durch einseitige Beleuchtung der islamischen Lehre Klischees zu zementieren bestrebt sind. Die dazugehörige Lehre stammt vielmehr aus Quellen, die dem Koran weit nachgeordnet sind, wie dem Sunan-Werk des Tirmidhyy oder dem Musnad-Werk des Aħmad b. Ħanbal und taucht dort in Hadithen auf, die überlieferungswissenschaftlich keinen herausragenden Authenzitätsgrad5 besitzen. Auffällig ist, dass die Zahl 72 in der jüdisch-christlichen Symbolik eine viel größere Rolle spielt als im Islam.
- Wenn Gott {erh.} allen rechtschaffenen Glaubenden, weiblichen
wie männlichen,
versprochen hat, dass sie im Paradies alles haben werden, was sie
sich wünschen und es ihnen an
nichts mangeln wird (21:102, 41:31), können Behauptungen der
Geschlechterungerechtigkeit nur noch als verbohrte Haarspalterei
interpretiert werden.6