Welche Sünden verzeiht Gott? (I)

Wenn laut 39:53 Gott alle Sünden verzeiht, wieso wird die Bekehrung gewisser Leute nicht angenommen (3:90)?

Hiermit ist kein Widerspruch feststellbar, denn:

  • Sure 3:90 sagt keineswegs, dass die Sünde der dort erwähnten Leute nicht zu denen gehört, die verziehen werden können. Sondern sie erwähnt lediglich, welche speziellen Umstände zum Ausbleiben einer solchen Verzeihung führen.
  • Die in 3:90 bezeichnete spezielle Kategorie von Leuten ist nach dem Verlassen des Glaubens so tief in die Entkennerei hineingerutscht, dass es naheliegend ist, dass ihre Bekehrung keine echte, sondern eine unaufrichtige ist und sie zu einer aufrichtigen Bekehrung mittlerweile nicht mehr in der Lage sind.1 Das Ausbleiben der Verzeihung läge dann also nicht daran, dass doch nicht alle Sünden verziehen werden, sondern daran, dass die betreffenden Personen nicht wirklich willens sind, Verzeihung zu erlangen.
1 Die Bekehrung wird in 3:90 lediglich als „ihre Bekehrung“ erwähnt, kann also auch eine Bekehrung sein, die sie nur als solche verkaufen möchten, d.h. ihre angebliche Bekehrung. Dies ist vergleichbar mit der Aussage: „Das Gold dieser Leute ist nur Messing. Ich nehme ihr Gold nicht.“

Welche Sünden verzeiht Gott? (II)

Wie kann es einerseits heißen, dass Gott Götzendienst und Beigesellung (shirk) nicht verzeiht (4:48; 4:116), und andererseits, Gott habe den Kindern Israels ihre Anbetung des goldenen Kalbes vergeben? In 39:53 heißt es sogar, Er verzeihe alle Sünden.

Hiermit ist kein Widerspruch feststellbar, denn:

  • In 4:48 und 4:116 kommt für „verzeihen“ das Wort ghafara zum Einsatz, welches mehr bedeutet als das Verb €afâ der Verse, in denen von der Vergebung der Anbetung des goldenen Kalbes berichtet wird. Während letzteres nur das Fallenlassen der Bestrafung oder der Rache bedeutet (Amnestie), ist ghafara Amnestie in Verbindung mit Wiederherstellung der Wohlgesonnenheit sowie mit liebevoller/gütiger Behandlung oder Beschenkung, und zwar ohne dass dafür weitere Leistungen erbracht werden müssen. Konkret kann man sich unter dieser Verzeihung die Ersetzung der Misslichkeiten in den Tatenbüchern der betreffenden Menschen mit Vortrefflichkeiten vorstellen (siehe Sure 25:70). Dies ist das, was im Falle von Beigesellung ausgeschlossen ist.
  • Aus der zusammenfassenden Betrachtung der drei in der Frage genannten Verse ergibt sich, dass Beigesellung in der koransprachlichen Definition keine bloße Sünde im Sinne von đanb wie in 39:53 ist, sondern eine eigene Kategorie der Missetaten, bzw. der đanb-Anteil in der Beigesellung relativ klein ist. Nirgends im Koran wird Beigesellung đanb genannt. Stattdessen findet die Bezeichnung żolm (€ażîm) Verwendung (Sure 31:13). Er bedeutet wörtlich „(gewaltige) Zufügung von Unrecht“.
  • Die Verse 4:48 und 4:116 lassen sich als gezielte Weise betrachten, den Leser des Koran mit der koransprachlichen Definition des Begriffs đanb bekanntzumachen. Diese Definition ist passend, da das Wort ursprünglich anscheinend von dem Verb đanaba („[ver-]folgen, hinterherkommen“) stammt1 und so die wörtliche Bedeutung „Gefolge“ hat. Hiermit kann es sich bei đunûb (pl.) ausschließlich um solche Untaten handeln, welche - bis zu einer gewissen Anzahl - die Fortbewegungsmöglichkeit des Sünders nicht völlig einschränken (d.h. nicht seine gesamten Tüchtigkeiten auslöschen), sondern ihm lediglich als negatives „Gefolge“ anhängen bzw. als „Bürden“ auf dem Rücken liegen2. Beigesellung kann jedoch nicht mehr „Gefolge“ genannt werden, da sie in ihrer Größe noch weniger als Bürde gelten kann als ein Berg, und ein solcher einem ja nirgendwohin folgt, sondern - unabhängig von der Anzahl - den Beigeseller unter sich begräbt und seine Fortbewegung unmöglich macht (d.h. seine gesamten vorigen Tüchtigkeiten auslöscht). - Ein Widerspruch wäre erst entstanden, wenn in 39:53 statt đanb das Wort sayyi°ah verwendet worden wäre, da dieses sich nicht im selben Maße definitorisch begrenzen lässt und schlechte Dinge allgemein meint.
1 Siehe den đ-n-b-Eintrag im lisân al-€arab. Aufschlussreich auch die Parallele zum wurzelgleichen đanab („Tierschwanz“, „Anhänger“, „Anhang“).
2 Vgl. 26:14, wo es unter Benutzung des Wortes đanb wörtlich heißt: „Und sie haben auf mir ein đanb, weshalb ich fürchte, dass sie mich töten.“


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